Von der Redaktion

Eine Meldung aus den Nachrichten der dritten Augustwoche weist uns auf unsere Verwundbarkeit hin. Das Erdbeben in der Türkei, das Tausenden von Menschen den Tod brachte, zeigte, wie schnell in der modernen Welt die Gefahr von Seuchen auftreten kann. Nur wenige Tage nach dem Beben warnten Experten vor Seuchen, die durch die noch verschütteten Toten und die noch nicht Begrabenen ausgelöst werden könnten.

Vor dem Hintergrund dieser traurigen Meldung werden nur wenige Leser der Zeitschrift Gute Nachrichten wissen, daß die verheerendste Epidemie in der Menschheitsgeschichte nicht während des Mittelalters, sondern zu Beginn dieses Jahrhunderts ihren Lauf nahm. In nur wenigen Monaten umkreiste sie die ganze Welt und hinterließ die bisher schrecklichste Todesbilanz: 20 Millionen Opfer. Es gab Städte, in denen Tausende von Menschen der Seuche zum Opfer fielen; in manchen abgeschiedenen Dörfern verstarb die Hälfte der Dorfbewohner. Die Epidemie schien aus dem Nichts gekommen zu sein und verschwand dann auf genauso mysteriöse Weise, wie sie entstanden war. Bis heute bleibt die schlimmste Seuche in der Menschheitsgeschichte ein Rätsel, besonders im Hinblick auf die unbestreitbaren medizinischen Fortschritte, die es in den Jahrzehnten vor dem Auftreten dieses Killers gegeben hatte.

Die Seuche, von der hier die Rede ist, war nicht die Schwarze Pest oder dergleichen, sondern ein Grippevirus, das in der Zeit zwischen September 1918 und März 1919 die Erde umkreiste. Allein in der Stadt New York wurden 33 000 Menschen Opfer dieser neuzeitlichen Seuche.

Das amerikanische Nachrichtenmagazin Time schätzte, daß ein tödliches Virus dieser Art in der heutigen Zeit dank der schnellen Beförderungsmitteln unserer Tage keine vier Monate, sondern nur vier Tage brauchen würde, um sich weltweit auszubreiten. Die Zahl der Todesopfer würde viel höher sein, schätzungsweise bis zu 60 Millionen Menschen würden an diesem „einfachen“ Virus sterben.

Etliche Forscher sind der Ansicht, daß das Grippevirus von 1918 von Vögeln zu Schweinen „wanderte“, bevor es sich unter Menschen ausbreitete. Die für die damalige Zeit verhältnismäßig schnelle Verbreitung der Seuche soll durch die Truppenbewegungen bzw. -verlegungen im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg begünstigt worden sein.

Kürzlich löste der Kameramann Olaf Ullmann mit seiner vermeintlichen Ebola-Erkrankung eine Welle der Angst aus. Sein Tod an Gelbfieber, das er sich in der Elfenbeinküste zugezogen hatte, führte uns wieder die Potenz von „eingeführten“ Viren aus den Tropen vor Augen.

Eine andere Virus-Gefahr kommentierte das Magazin Time folgendermaßen: „Während die restliche Welt vor der geringen Bedrohung durch Exoten wie das Ebola- und das Hantavirus die Hände rang, starrten die Gesundheitsbeamten [in Hong Kong] einem viel wahrscheinlicheren globalen Desaster ins Gesicht.“ Gemeint war das behördlich verordnete Notschlachten allen Geflügels vor zwei Jahren in Hong Kong, weil dort ein für die Menschen potentiell gefährliches Grippevirus entdeckt wurde.

Auf der Schwelle des neuen Jahrtausends müssen wir feststellen, daß der zivilisierte Mensch die Seuchengefahr nur scheinbar gebannt hat.