Das Warten auf das „Ende der Welt“

Gegen Ende des Jahres 1999 meinten einige, die Wiederkehr Jesu würde zu Beginn des neuen Millenniums stattfinden. Was rät uns die Bibel in Bezug auf unser Warten?

Von John Ross Schroeder

In der zweiten Hälfte des Jahres 1999 lagen für manche Christen Harmagedon und die Apokalypse in der Luft. Damals hatten die sich schnell nähernde Jahrhundertwende und ein neues Millennium einen nervösen eschatologischen Impuls noch verstärkt. Manche erwarteten das „Ende der Welt“ und die Rückkehr Jesu Christi sogar genau zum 1. Januar 2000.

Einige Eiferer waren zum „Sturmangriff“ angetreten. Beispielsweise zog eine kleine Gruppe auf den Ölberg nahe Jerusalem, um dabei zu helfen, das zweite Kommen anzukündigen. Bei einem anderen Vorfall musste die israelische Regierung einschreiten und eine simulierte „christliche“ Aufführung der Ereignisse von Harmagedon verbieten – eine sogenannte Vorausschau der kommenden Katastrophe. Prophetischer Wahnsinn schien 1999 en vogue zu sein, aber keineswegs zum ersten Mal!

Es hat immer Christen gegeben, die so sehr daran glaubten, dass sie genau wussten, wann Christus auf diese Erde zurückkommen wird. Einige versuchten sogar, seine Rückkehr selbst herbeizuführen. Wie absurd dies Gott erscheinen muss!

Es stimmt, dass Christus uns im Kontext seiner Beschreibung der Zeichen, die seiner Rückkehr vorausgehen werden, anwies, das Weltgeschehen zu beobachten: „So seid allezeit wach und betet, dass ihr stark werdet, zu entfliehen diesem allen, was geschehen soll, und zu stehen vor dem Menschensohn“ (Lukas 21,36).

Wir sollen die echten Zeichen, die seinem zweiten Kommen vorausgehen werden, vorsichtig einschätzen, aber auf ausgewogene und vernünftige Weise – niemals einen Termin festsetzend! Unsere Beobachtung dient nicht der Ermittlung eines Termins für Jesu Wiederkehr, sondern der Wachsamkeit wegen der Gefahr der geistlichen Nachlässigkeit: „Hütet euch aber, dass eure Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen und mit täglichen Sorgen und dieser Tag nicht plötzlich über euch komme wie ein Fallstrick; denn er wird über alle kommen, die auf der ganzen Erde wohnen“ (Verse 34-35; alle Hervorhebungen durch uns).

Das biblische Ende dieser Zeit

Einige stellen das Ende der Welt mit dem zweiten Kommen Jesu Christi gleich. Tatsächlich wird die Welt selbst aber nicht zu Ende gehen, wenn Christus zurückkommt. Seine Rückkehr wird jedoch die Zeit der Missherrschaft des Menschen beenden und den Anfang einer herrlichen tausendjährigen Regierung Gottes einleiten.

Die Bibel macht diesen Punkt sehr deutlich. Dieses gegenwärtige menschliche Zeitalter – „dieser gegenwärtigen, bösen Welt“ (Galater 1,4) – wird durch die tausendjährige Herrschaft Jesu Christi auf dieser Erde ersetzt werden (Offenbarung 5,10; 20,4-6).

Das zweite Kommen wird eine zentrale Übergangszeit zwischen zwei Welten einleiten – der des Menschen und Gottes Welt. Der Planet selbst wird sich aber weiterhin um die Sonne drehen, und die Menschheit wird weiter auf der Erde leben, obwohl katastrophale Endzeitereignisse die Bevölkerung drastisch reduziert haben werden.

Gottes Entscheidung

Bei ihrem Eintritt wird die tatsächliche Rückkehr Jesu Christi als einer der bedeutendsten Meilensteine in die Weltgeschichte eingehen. Sie wird ihren Platz neben der Schöpfung, der Sintflut und Christi erstem Kommen einnehmen. Der Zeitfaktor ist so entscheidend, dass Gott, der Vater, sich diese Entscheidung selbst vorbehalten hat. Zur Zeit seines menschlichen Lebens wusste selbst Christus nicht, wann es geschehen wird: „Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater“ (Matthäus 24,36).

Nach Jesu Auferstehung zum ewigen Leben fuhren seine Jünger mit ihren Fragen zu diesem Thema fort. Sie wollten immer noch den genauen Zeitpunkt seiner Rückkehr wissen. Christus gab ihnen die gleiche Antwort, die er ihnen zuvor gegeben hatte. „Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat“ (Apostelgeschichte 1,7).

Anstatt sich mit diesem Thema zu befassen, sollten Jesu Jünger sich dem Predigen des Evangeliums widmen: „Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde“ (Vers 8).

Geschichtlich gesehen konnten wir Menschen diese Antwort bisher nur schwer akzeptieren. Irgendwie wollen wir Jesu eigene Worte umgehen und einen Weg finden, wie wir die Rückkehr genau bestimmen können. Selbst die frühen Apostel wurden Opfer des Glaubens, dass Christus zu ihren Lebzeiten zurückkehren würde. Später kamen sie jedoch zu einer realistischeren Ansicht (siehe bitte dazu 1. Thessalonicher 4,16-17 bzw. 1. Korinther 15,50-53 und 2. Petrus 3 bzw. 2. Timotheus 4).

Lassen Sie uns jetzt die Ereignisse des ersten und zweiten Kommens in der Heiligen Schrift untersuchen.

Sorgfältig im Voraus geplant

Das erste Kommen Jesu Christi war ein sehr sorgfältig geplantes Ereignis. Es geschah nicht durch Zufall oder zu irgendeiner Zeit in der Geschichte. „Als aber die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter Gesetz“ (Galater 4,4; Elberfelder Bibel). In anderen Übersetzungen heißt es: „Als die Zeit erfüllt war . . .“ Gott plant seine Taten in Voraus. Die richtige Zeit ist die bestimmte Zeitspanne, die sich am besten für seinen Plan und Zweck eignet.

Das Lamm war „von Grundlegung der Welt an“ geschlachtet (Offenbarung 13,8; Elberfelder Bibel), aber das tatsächliche Ereignis fand erst einige tausend Jahre später statt.

Im Neuen Testament lesen wir: „So ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil“ (Hebräer 9,28).

Nach der Schrift sind beide Kommen eng miteinander verbunden (Jesaja 61,1-2), es gibt aber einen großen prophetischen Zeitsprung zwischen diesen beiden Ereignissen. Beides sind enorm wichtige Schritte in Gottes Plan für die Menschheit.

Der Apostel Paulus schreibt folgende Worte an die Gemeinde zu Ephesus: „In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut . . . Denn Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluss, den er zuvor in Christus gefasst hatte, um ihn auszuführen, wenn die Zeit erfüllt wäre, dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist“ (Epheser 1,7-10).

Paulus spricht von einer generellen Zeitspanne, die rückschauend sicherlich das zweite Kommen Christi umfasst, die aber auch weit über dieses entscheidende Ereignis hinausgeht. Anscheinend bezieht er sich hauptsächlich auf die Zeit des neuen Himmels und der neuen Erde.

Diese Zeit wird in Offenbarung, Kapitel 21 und 22 beschrieben. Alles ist nach einem Schritt-für-Schritt-Plan, der der Gemeinde durch Gottes jährliche Festtage offenbart wird, nach dem Willen Gottes festgelegt.

Wir können absolut sicher sein, dass kein großes Ereignis, das in der Prophezeiung vorausgesagt wurde, je ohne eine genaue Planung stattfinden wird. Im Rückblick werden alle wichtigen Ereignisse eingetreten sein, „wenn die Zeit erfüllt wäre“ (Epheser 1,10) – und nicht vorher!

Gott, der Vater, wird Christus genau zum richtigen Zeitpunkt auf die Erde zurücksenden. Er sieht immer das ganze Bild – alles, was zu irgendeiner Zeit auf dieser Welt geschieht, verbunden mit seinem vollkommenen Wissen über die Vergangenheit und die Zukunft. Wir können jedoch nur einen Teil des ganzen Geschehens wahrnehmen: „Denn wir erkennen stückweise, und wir weissagen stückweise“, schrieb der Apostel Paulus (1. Korinther 13,9).

Christus trug uns aber auf, zu beten, „dein Reich komme“, und gab uns damit sehr deutlich zu verstehen, dass wir begierig und begeistert die Zeit seines gewaltigen Eingreifens in menschliche Angelegenheiten suchen sollen. In der Zwischenzeit sollen wir aufmerksam die Nachrichten und Trends der Welt beobachten, während wir darauf achten, dass auch unser geistliches Leben in Ordnung ist.

Eine ernüchternde Warnung

Wir sollten uns aber auch Jesu eigene Worte der Warnung in der Ölbergprophezeiung zu Herzen nehmen: „Wenn dann jemand zu euch sagen wird: Siehe, hier ist der Christus! oder da!, so sollt ihr’s nicht glauben. Denn es werden falsche Christusse und falsche Propheten aufstehen und, große Zeichen und Wunder tun, so dass sie, wenn es möglich wäre, auch die Auserwählten verführten . . . Wenn sie also zu euch sagen werden: Siehe, er ist in der Wüste!, so geht nicht hinaus; siehe, er ist drinnen im Haus!, so glaubt es nicht“ (Matthäus 24,23-24. 26).

Wenn die Menschen Jesu eigene Worte verstehen und zu Herzen nehmen würden, würden sie nicht versuchen, seine Prophezeiung auf dem Ölberg im Sinne einer Datumsermittlung für seine Rückkehr auszulegen oder gar die Ereignisse von Harmagedon im Voraus selbst herbeizuführen. Sein zweites Kommen ist keine Privatsache, sondern ein globales Ereignis (Vers 30).

Gottes Engel werden seine Auserwählten überall auf der Erde einsammeln – wo auch immer sie sein werden (Vers 31). Heute ist unsere wichtigste Aufgabe, das Evangelium zu predigen (Matthäus 24,14) und geduldig zu warten. „Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird errettet werden“ (Vers 13).

Der Tempelberg im Mittelpunkt

Es gibt eine kuriose Beziehung zwischen Gruppen evangelikalischer Christen und radikaler Juden, die den Tempel in Jerusalem auf dem Berg, wo der alte Tempel Salomos stand, wieder errichtet sehen möchten. Heute steht an dieser Stelle der islamische Felsendom, der eine der heiligsten Stätten in der muslimischen Welt darstellt. Nach den prophetischen Auslegungen mancher Christen muss vor dem zweiten Kommen Christi ein Tempel an dieser Stelle errichtet werden. Orthodoxe Juden halten einen wiederhergestellten Tempel aus ähnlichen, aber auch sehr deutlich unterschiedlichen Gründen für wichtig. Auch sie warten auf das Kommen eines Messias, der für sie ganz bestimmt nicht der wiederkehrende Erretter der Christen sein wird, sondern die Herrlichkeit Israels wiederherstellen soll.

Im Herbst 1998 nahmen 1500 Mitglieder einer Gruppe, die sich die „Bewegung zur Errichtung des Tempels“ nennt, an einem Protestmarsch in Jerusalem teil, um ihre Forderung nach dem Wiederaufbau des Tempels zu bekunden. Ihr Anführer, Gershon Salomen, meint, eine göttliche Berufung zum Wiederaufbau des Tempels erhalten zu haben. Seine Gruppe erhält Gelder von verschiedenen christlichen Glaubensgemeinschaften sowie von den Juden. Er wird oft eingeladen, um vor christlichen Reisegruppen zu sprechen, die Israel besuchen. Die gemeinsamen Erwartungen der dramatischen Ereignisse, die noch in Jerusalem und ganz besonders am Tempelberg geschehen sollen, lassen die verschiedensten Gruppen mit fundamental unterschiedlichen religiösen Perspektiven zu seltsamen Weggefährten werden.