Die Wahrheit über die Liebe

GN-Interview mit Dr. Pat Love

Gute Nachrichten: In Ihrem Buch The Truth About Love haben Sie die vier Stadien dargestellt, die ein Paar durchmacht – die Verliebtheitsphase, die Phase nach der ersten Begeisterung, die Phase des sich gegenseitigen Entdeckens und dann die Verbundenheitsphase. Wie sind Sie darauf gestoßen, was wahre Liebe bei Menschen bedeutet?

Pat Love: In Kürze: Forschung und klinische Erfahrung. Ein Talent von mir ist das Lesen von komplexen Inhalten und deren Aufbereitung als einfache Modelle. Hinzu kommt, dass wir in den letzten zehn Jahren diese enorme Wissensexplosion über die Funktion des Nervensystems und dessen Verbindung mit unseren Beziehungen hatten.

Also gerade zu der Zeit, als wir dachten, dass wir bereits eine Menge an Wissen hätten, ereignet sich diese Explosion an Wissen. Mit Methoden wie der Magnetresonanztomographie (MRT) können wir ins Innere des Gehirns schauen und sehen, wie dort alles funktioniert. Forschungen und neue Informationen dazu sprudeln geradezu.

GN: Diese neuen Erkenntnisse und diese neuen Informationen kommen wohl fast exponentiell.

PL: In der Tat und für mich ist da immer die „Wozu ist das gut?“-Frage. Was kommt am Ende dabei heraus? Deshalb habe ich es riskiert, ein Sachbuch für die Allgemeinheit zu schreiben, statt ein Fachbuch. In akademischen Kreisen wird die Veröffentlichung eines Sachbuchs statt eines Fachbuchs gering geschätzt. Aber ich habe mir das Ganze überlegt und mich gefragt: „Was will ich hier eigentlich erreichen?“ Mein Ziel ist es, eine Botschaft zu vermitteln. Und nun wird erstaunlicherweise The Truth About Love von vielen Universitäten verwendet. Mittlerweile gilt es mancherorts als Grundlagentext.

GN: Wie definieren Sie wahre Liebe?

PL: Nun, da stoßen Sie wirklich zum Kern der Sache vor. Während ich das erforschte, verfiel ich der östlichen Sicht, wo es um den Wunsch geht, „jemanden glücklich zu machen“. Als Kontrast dazu besteht die westliche Sicht von Liebe im Grunde aus „Was hast Du zuletzt für mich getan?“

Mit anderen Worten: Wenn Du mich so behandelst, wie ich behandelt werden möchte, dann liebe ich Dich. Aus dieser Sicht ist Liebe eine Reaktion darauf, dass die eigenen Bedürfnisse erfüllt wurden. Das Problem dabei ist, dass es absolut keine Forschungsergebnisse gibt, die diese Einstellung unterstützen – keine Forschungsergebnisse, die zeigen, dass das jemanden glücklich machen wird oder dass das irgendwie Liebe bedeutet. Das einzige, was uns die Forschung zeigt, ist, dass das, was uns wirklich glücklich macht, darin besteht, unsere einzigartigen Talente für einen würdigen Zweck einzusetzen. Mit anderen Worten: jemanden zu lieben.

GN: Kann man sagen, dass Liebe eine echte Fürsorge für das Wohlergehen des Anderen bedeutet?

PL: Ja. Und es ist interessant, dass wir Liebe mit Genuss verwechseln. Genuss besteht aus dem Gefühl, dass die eigenen Bedürfnisse und Wünsche befriedigt werden. Wenn Du meine Bedürfnisse erfüllst, dann ist das für mich genussvoll. Genuss aber ist flüchtig. Man muss ihn immer wieder neu erleben. In diesem Sinne macht er süchtig, wie etwa Eiscreme. Man hat den Genuss, aber nur während man die Eiscreme isst. Im nächsten Augenblick, beim nächsten Erlebnis, ist dieser Genuss verschwunden.

GN: In Ihrem Buch geben Sie zu, dass die Ehe nicht mit einer Stellenbeschreibung einhergeht. Diese Beschreibung war gleichzeitig spaßig und wahr. Glauben Sie, dass die meisten Menschen das einfach nicht bedenken oder sich nur durchlavieren?

PL: Ich glaube, dass sie es einfach nicht wissen. Das Gehirn ist so subjektiv. Wir sind völlig in unserer eigenen Realitätssicht gefangen. Das ist einfach der natürliche Ablauf. Die Versuchung, unsere eigene Sicht als die wahre Weltsicht anzunehmen, ist so groß. Wir gehen auch davon aus, dass unser Partner die Welt so sehen muss, wie wir es tun.

Einer der weniger beachteten aber wichtigen Teile des gesamten Buches ist der Teil über die Rollendefinition in der Ehe. Das ist der Aspekt, der viele Beziehungen zerstört.

Zum Beispiel geht eine Frau vielleicht die Ehe mit der Vorstellung ein: „Ich erwarte von Dir, dass Du mich finanziell versorgst und mein Versorger und Beschützer bist.“ Gleichzeitig denkt sie dann aber auch: „Es ist natürlich in Ordnung, dass ich arbeite, aber dieses Einkommen ist zusätzliches Einkommen.“ Dabei nimmt sie an: „Nun, ich trage meinen Teil bei.“

Ihre Absichten mögen sehr gut sein, aber das Paar gerät in Schwierigkeiten, weil sie und der Mann hier unterschiedliche Drehbücher durchspielen. Der Mann denkt vielleicht: „Hier ist eine Frau, die sehr viel Geld verdient. Sie kann mich gut versorgen.“ Das Ganze geht in beide Richtungen.

Das erinnert mich an ein altes Cartoon, das ich besitze. Darauf sind zwei Trapezartisten, die beide einander entgegenschwingen, und beide lassen los. So fängt keiner den anderen auf. Die Unterschrift dazu ist: „Hoppla!“ Das ist das, was mit Paaren vor sich geht. Jeder der Partner denkt, dass sich der andere diesen Rollen gemäß verhält, aber die Regeln werden nie offen angesprochen.

GN: In Ihrem Buch vergleichen Sie eine moderne Ehe mit einem Flugzeug in vollem Flug. Können Sie uns diesen Vergleich etwas näher erklären?

PL: Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Forschungsstatistiken zitieren, die ich für sehr tiefgründig halte. Drei von vier Amerikanern glauben, dass die Ehe nicht dazu dient, Kinder zu bekommen und aufzuziehen, sondern nur zur persönlichen Erfüllung. Mit anderen Worten, jeder der Ehepartner sagt: „Deine Aufgabe ist es, mich glücklich zu machen.Das ist der Zweck der Ehe, und wenn Du mich nicht glücklich machst, dann ist unsere Ehe nicht existenzfähig.“

Das ist eine erdbebenartige Verschiebung im Vergleich zur letzten Generation. Es ist diese Vorstellung, dass „Du meine fortgesetzten Bedürfnisse erfüllen und mich glücklich machen musst“. Und es gibt keine Forschungsergebnisse, die die Vorstellung unterstützen würden, dass ein Mensch jemals jemand anderen glücklich machen könnte.

Ich glaube, das ist so, als wenn man ein Flugzeug mitten im Flug zusammenmontiert. Und ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass die Ehen und die Scheidungsrate heute gleichhoch sind. Es ist ein Würfelspiel. Ich habe einen Kollegen, dessen Mutter geheiratet hat und im Alter von 91 Jahren geschieden wurde! Sie sagte, dass sie und ihr Ehemann sich nur noch über Geld und die Kinder streiten würden.

GN: Unter den Vorurteilen über Liebe gibt es zum Beispiel die Vorstellung, dass man nie miteinander streitet. Was bewegt Menschen dazu, so etwas anzunehmen? Ist das Wunschdenken oder wurden wir darüber nicht richtig aufgeklärt, was man in der Ehe erwarten sollte?

PL: Was den Leuten diese Erwartungen vermittelt, sind ihre Erfahrungen. Denn während der Verliebtheitsphase einer Beziehung trifft das alles zu. Da denkt man dann: „Weil ich während längerer Zeit ein solch müheloses Hoch mit Dir erlebt habe, ist es nur gerechtfertigt und logisch, zu glauben, dass wir, weil wir das jetzt so haben, das auch in einem Jahr so haben werden.“

Das Ganze fühlt sich so wunderbar an, dass es nur logisch ist, zu denken: „Okay, ich erlebe das wirklich, ich bilde mir das nicht ein, ich möchte Zeit mit Dir verbringen.“ Es ist also nur logisch für Menschen zu glauben, dass das, was sie gerade haben, das ist, was sie immer erleben werden.

Uns ist aber nicht bewusst, dass wir von unserer Biologie her darauf programmiert wurden, so zu denken. Deshalb gibt es diese Erwartungen. Wir haben es selbst erlebt oder bei anderen gesehen.

Wir verstehen aber die vorübergehende Natur des Verliebtseins nicht. Wenn die Verliebtheit allmählich abnimmt, gibt es eine Ernüchterung. Das nenne ich die Phase nach der ersten Begeisterung. Weil sie das nicht verstehen, trennen sich viele Paare, während das in Wirklichkeit eine Gelegenheit ist, zu einer tieferen Ebene von Liebe und Hingabe vorzudringen.

GN: Was meinen Sie mit der Entdeckungs- und der Verbundenheitsphase?

PL: Die Entdeckungsphase besteht darin, herauszufinden, was wir wirklich mit „Ich liebe Dich“ zu unserem Partner sagen, und ihm das zum Geschenk zu machen. Wie können Sie das tun? Durch „Eingestelltsein“ – indem Sie sich auf Ihren Partner einstellen. Wir erwarten drei Dinge von einer Beziehung:

Erstens, jemanden, der sich auf uns einstellt, jemand, der uns wirklich wahrnimmt, der wirklich präsent ist.

Zweitens, jemanden, der uns wirklich versteht, der uns lange genug Aufmerksamkeit widmet, um sagen zu können: „Oh, das ist es, was mein Partner meint, das ist, was er wirklich will, so ist mein Partner wirklich.“

Drittens, jemanden, der, wenn er uns erst einmal versteht, mit entsprechender Verbundenheit reagiert.

Bei kleinen Kindern ist es wichtig, genau hinzusehen, ihnen echte Aufmerksamkeit zu widmen – zu lernen, wie man am besten für sie sorgen kann. Bei Erwachsenen ist es das Gleiche. Darum geht es bei der Entdeckung. Das ist wirklich eine Trumpfkarte bei der fortwährenden Leidenschaft in einer Ehe.

GN: Was sind Ihre Gedanken über die Verbundenheitsphase in der Ehe im Sinne von gegenseitiger Hingabe?

PL: Hingabe ist die Möglichkeit, wirklich von einem anderen Menschen erkannt zu werden. Die Ehe und die Hingabe haben zurzeit einen schlechten Ruf. Experten und Politiker sagen, was unternommen werden sollte, aber es wird nicht viel über die Freuden von hingebungsvoller Liebe gesagt. Wir hören in den Medien viel über Scheidungen, vor allem, wenn es um Prominente geht.

GN: Gibt es unterschiedliche Arten von Verbundenheit?

PL: In der Tat. Zum Beispiel gibt es Verbundenheit ohne Ehe, und die Gesellschaft akzeptiert diese Art von Verbundenheit heutzutage mehr. Aber das bedeutet ein Zusammenleben aus Bequemlichkeit. Die Einstellung ist hier individualistischer und weniger beziehungsorientiert. Die Partner können sich dabei auch anderweitig umschauen und ständig beim Partner nach dessen Schwächen suchen. Wahre Liebe vermeidet eine solche Beziehung. Wenn die Hingabe einer Person in einer Beziehung in Frage steht, befindet sich die Beziehung gewissermaßen ständig im Alarmzustand und die Partner neigen eher dazu, sich über Kleinigkeiten aufzuregen.

GN: Ist eine tiefe Verbundenheit mit dem Partner statisch oder fortlaufend? Wenn fortlaufend, kann das eine Ehe verbessern?

PL: Der Ablauf wahrer Liebe endet nicht mit dem Verbundenheitsstadium. Wahre Liebe wird im Laufe der Zeit tiefer. Eine intime Verbundenheit regt an und führt zu neuen Höhen jenseits des Verliebtheitsstadiums. Das Ganze wird mit einer tieferen Hingabe immer besser. In einer Ehe wird es weiterhin Enttäuschungen und Meinungsverschiedenheiten geben, aber eine Beziehung mit tiefer Verbundenheit bringt das Vertrauen mit sich, dass ihre Liebe das alles überstehen wird. Die Wahrheit über die Liebe ist, dass sie mit der Zeit immer tiefer wird.

GN: Was sind einige Anzeichen für eine tiefe Verbundenheit mit unserem Ehepartner?

PL: Die bedeutsamste Verbindung in unserem Erwachsenenleben besteht zwischen Ehepartnern. Mancher mag sagen, dass seine Freunde mehr Hingabe bieten als der Ehepartner. Wenn das stimmt, dann fordern Sie von Ihren Freunden, dass sie jeden Abend um sechs Uhr bei Ihnen zu Hause sind und die Hälfte der Hausarbeiten übernehmen und die Hälfte des Einkommens beisteuern. Da werden Sie schnell den Unterschied zwischen Freunden und Ehepartnern entdecken.

Handlungen zwischen Partnern wie gegenseitige Berührung, Umarmung, Zuhören und Unterstützung führen zur Freisetzung von Endorphinen. Diese wunderbaren natürlichen Opiate vermitteln ein Gefühl der Ruhe und Beschaulichkeit. Die Beziehung wird zu einem sicheren Hafen hinsichtlich der äußeren Welt. Das vierte Stadium der Ehe, das Verbundenheitsstadium, ist eine fortlaufende Phase immer neuer Freuden. Je tiefer die Verbundenheit in einer Ehe ist, umso glücklicher und sicherer werden Sie sich fühlen.

GN: Dr. Love, wir danken Ihnen für das Gespräch und Ihre Erläuterungen.

Dr. Pat Love ist vor allem als Autorin der zwei populären Ehebücher The Truth About Love (2001) und Hot Monogamy (1994) und als Mitautorin von How to Improve Your Marriage Without Talking About It (2007) bekannt. Ihre Artikel sind in diversen Zeitschriften erschienen. Sie gastiert auch im Fernsehen, beispielsweise bei CNN und Oprah Winfrey. Dr. Love ist eine staatlich zugelassene Ehe- und Familientherapeutin und ehemalige Präsidentin der „International Association for Marriage and Family Counseling“.