
Die Falle der „Qualitätszeit“
Das Konzept der „Qualitätszeit“ ist bei Eltern sehr beliebt, die zu beschäftigt sind, um viel Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Sie beruhigen ihr Gewissen, indem sie sich sagen, dass sie den Mangel an Zeit für die Kinder bei einer späteren Gelegenheit durch „Qualitätszeit“ wieder wettmachen werden. Leider gelingt so etwas oft nicht so, wie sich die Eltern das vorgestellt haben. Für Kinder ist jegliche Zeit wertvoll, die sie mit ihren Eltern verbringen, auch wenn die Gelegenheiten, bei der man Zeit miteinander verbringt, nicht immer von vergleichbarem oder gleichem Wert sind.
Es gibt keinen Ersatz für die Zeit, die wir mit unseren Kindern verbringen. Unsere Zeit ist unser Leben. Wenn wir einen Teil davon unseren Kindern widmen, dann versichern wir ihnen damit, dass wir sie lieben. Eltern, die ihren Kindern viele materielle Besitztümer geben, aber nur wenig persönliche Zeit mit ihnen verbringen, liegen da in einem entscheidenden Punkt falsch. Für Kinder ist die Zeit, die ein Elternteil damit verbringt, durch Arbeit für den Unterhalt der Familie zu sorgen, kein Beweis seiner Liebe für sie. Sie denken, dass Papa einfach keine Zeit mit ihnen verbringen will. Unsere Zeit ist das wertvollste Geschenk, das wir unseren Kindern machen können.
Der Soziologe Mark Warr von der University of Texas sagt, dass jüngste Studien „ernsthafte Fragen in Bezug auf die Betonung von Qualitätszeit, die heute so vorherrschend ist, aufwerfen. Auch wenn Qualitätszeit sicher erstrebenswert ist, ist das Ausmaß der Zeit, die man mit der Familie verbringt, nicht unwichtig. Trotz der gegenwärtigen Argumente sind kleine Abschnitte von Qualitätszeit möglicherweise nicht ausreichend, um die verbrechensfördernden Aspekte der Gleichaltrigenkultur auszugleichen, denen Heranwachsende heute gewöhnlich ausgesetzt sind“ (Family in America, Februar 1994).
Auch wenn das Verbringen von Qualitätszeit mit den Kindern ein edles Ziel sein mag, verstehen doch viele Eltern nicht, was diese Art von Zeit eigentlich so anders macht. Garry und Anne Marie Ezzo definieren in ihrem Kindererziehungsprogramm „Führe die Kinder auf dem tugendhaften Weg“ Qualitätszeit als „eine Aktivität, die die Kommunikation und den gemeinsamen Austausch fördert“ (Leader’s Guide, Seite 79).
Laut dieser Definition stellen viele Aktivitäten, wie ein gemeinsamer Kinobesuch oder gemeinsame Spiele, nicht wirklich Qualitätszeit dar. Die Ezzos „stellen die gegenwärtige Auffassung über Qualitätszeit und Quantitätszeit in der Hinsicht in Frage, dass Zeit nicht der beste Maßstab ist, sondern es um das Kaliber der Beziehung geht. Das kann daran gemessen werden, wie oft sich die Kinder an den Vater wenden, wenn sie Ratschläge und Anleitung brauchen“ (ebenda, Seite 91).
Wahre Qualitätszeit ist die Zeit, in der Kinder sich ihren Eltern öffnen, ihre Gedanken darlegen und die Eltern um Rat bitten. Solche besonderen Zeiten können nicht einfach verordnet werden. Sie kommen oft als ungeplante Umstände und können oft zur unpassenden Zeit kommen. Aber kluge Eltern werden alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihren Kindern mit größter Liebe und höchstem Respekt zuzuhören und zu reagieren, wenn sich solche besonderen Zeiten ergeben.
Natürlich können auch ganz normale Zeiten, die Kinder mit den Eltern verbringen, wertvoll sein. Idealerweise sollten die Kinder ausreichend Zeit mit den Eltern verbringen, um zu sehen, wie diese zu Hause tätig sind, und auch besondere Anlässe mit den Eltern genießen. Indem sie gemeinsam mit den Eltern Arbeiten verrichten, lernen Jugendliche, wie man arbeitet. Indem sie gemeinsam mit den Eltern etwas Gutes für jemand anders tun, lernen sie für andere Menschen da zu sein. Wenn die Kinder sehen, wie der Papa die Mutti küsst, und erleben, wie beide Eltern sich mit gegenseitigem Respekt behandeln, lernen sie, wie eine liebevolle Ehe aussieht.
Manche Erwachsene mögen so etwas nicht als Qualitätszeit einstufen, aber in Wirklichkeit ist das bedeutsam für die Entwicklung von sozial reifen Kindern. Um die Gelegenheiten für qualitativ hochwertige Kommunikation zu erhöhen – die Art von Kommunikation, bei der ein Elternteil und ein Kind wirklich von Herzen kommende Emotionen und Sorgen in einer vertrauensvollen Beziehung miteinander teilen können –, verbringen Sie bei einem jungen Kind, bevor es abends zu Bett gebracht wird, einige Zeit damit, ihm leise Botschaften über die Bedeutung von gottgefälligem, moralischem Verhalten ins Ohr zu flüstern. Loben Sie Ihr Kind für sein gutes Verhalten während des Tages. Die Zeit, bevor sich Kinder schlafen legen, ist für sie oft eine Zeit der Besinnung, wo sie ihre Gedanken offenbaren und wichtige Fragen stellen.
Sogar Jugendliche und junge Erwachsene wollen manchmal, kurz bevor sie zu Bett gehen, über wichtige Belange in ihrem Leben sprechen. Während es nicht notwendig ist, ihnen ins Ohr zu flüstern, sind solche Gespräche aber durchaus wichtig. Kluge Eltern werden solche Gelegenheiten nicht verpassen, sondern nutzen.