Wiedervereinigung Europas oder demokratische Diktatur?

Aus der Reihe: Unsere Meinung vom 20. Dezember 2002

Zum 1. Mai 2004 erweitert sich die EU um Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen, Zypern und Malta. Das Resultat des EU-Gipfels in Kopenhagen war für Kommissionspräsident Romano Prodi eine „Wiedervereinigung Europas“.

Wohin steuert die EU? Kann das Ost-West-Wirtschaftsgefälle, das durch die Ost-Erweiterung entsteht, überwunden werden? Diese ungleiche Mischung erinnert an eine Vision des biblischen Propheten Daniel, in der es um eine Mischung von „Ton und Eisen“ ging. Was hat Daniels Vision mit der heutigen Situation Europas zu tun?

Im zweiten Jahr seiner Regierung hatte der babylonische König Nebukadnezar einen erschreckenden Traum, den keiner seiner Berater erklären konnte. Träume waren in der babylonischen Kultur sehr wichtig, und Nebukadnezar war überzeugt, daß dieser von großer Bedeutung war (Daniel 2,1-3). Gottes Einfluß auf diesen großen heidnischen König begann, indem er dem Propheten Daniel erlaubte, den Traum ohne vorherige Kenntnis seines Inhalts zu deuten.

Unter Gottes Inspiration erklärte Daniel die Einzelheiten von Nebukadnezars Traum und gab dem König einen erstaunlichen Vorausblick auf die Geschichte. In seinem Traum sah Nebukadnezar eine menschliche Gestalt, die aus vier unterschiedlichen Teilen bestand, jedes durch ein anderes Metall versinnbildlicht: „Du, König, hattest einen Traum, und siehe, ein großes und hohes und hell glänzendes Bild stand vor dir, das war schrecklich anzusehen. Das Haupt dieses Bildes war von feinem Gold, seine Brust und seine Arme waren von Silber, sein Bauch und seine Lenden waren von Kupfer, seine Schenkel waren von Eisen, seine Füße waren teils von Eisen und teils von Ton“ (Daniel 2,31-33).

Das Bildnis repräsentierte – in symbolischer Form – die Reihenfolge großer Reiche, die die politische Bühne der zivilisierten Welt über Jahrhunderte hinweg bestimmen würde, wobei der letzte Teil des vierten Reiches zur Zeit der Rückkehr Jesu Christi auf Erden zur Errichtung des Reiches Gottes bestehen würde. Daniels Interpretation gibt uns einen „Einblick in Gottes Plan über den Zeitraum bis hin zum letzten Triumph Christi“ und „präsentiert die vorbestimmte Nachfolge der Weltmächte, die den Nahen Osten bis zum endgültigen Sieg des Messias in den letzten Tagen beherrschen sollen“ (The Expositor’s Bible Commentary, Band 7, Seite 39, 46). In anderen Worten sollte die chronologische Reihenfolge der Reiche, die durch das Bildnis dargestellt werden, von oben bis unten betrachtet werden, wobei die Füße des Bildnisses das „Reich“ repräsentieren, das zur Zeit der Rückkehr Jesu bestehen wird. Die Füße des Bildnisses werden von dem Stein getroffen, der das Reich Gottes symbolisiert (Vers 34).

Daniel erklärte Nebukadnezar, daß sein babylonisches Reich durch den goldenen Kopf dargestellt wurde: „Du, König, bist ein König aller Könige ... Du bist das goldene Haupt“ (Verse 37-38). Die silbernen, bronzenen, eisernen und tönernen Komponenten des Bildnisses bzw. Statue repräsentierten drei mächtige Reiche, die dem mächtigen Babylon folgen sollten (Verse 39-40). „Das silberne Reich war das medo-persische, das mit Kyrus dem Großen begann, als er 539 v. Chr. Babylon eroberte ... Dieses silberne Reich herrschte über zwei Jahrhunderte im Nahen und Mittleren Osten“ (ebenda, Band 7, Seite 47).

„Das bronzene Reich war das von Alexander dem Großen gegründete griechisch-mazedonische Reich ... Das bronzene Reich dauerte ca. 260 bis 300 Jahre, bevor es von dem vierten Reich ersetzt wurde“ (ebenda).

„Eisen steht für Härte und Rücksichtslosigkeit und beschreibt das Römische Reich, das seine weiteste Ausdehnung unter der Herrschaft Trajans erfuhr“ (ebenda). Trajan regierte 98 bis 117 v. Chr., und das Römische Reich selbst herrschte über mehrere Jahrhunderte. Daniel beschrieb, wie das vierte Reich seine Gegner zermalmte und sie zur Unterwerfung zwang (Vers 40).

Das vierte Reich hatte zehn Zehen. „Vers 41 handelt von einer späteren Phase oder Erweiterung dieses vierten Reiches, versinnbildlicht durch die Füße und zehn Zehen ...“ (ebenda). Jesus kehrt zur Erde zurück, zur der Zeit, wo die „Könige“, die durch die Füße und Zehen versinnbildlicht werden, herrschen werden. „Aber zur Zeit dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Reich aufrichten, das nimmermehr zerstört wird ... wie du ja gesehen hast, daß ein Stein ohne Zutun von Menschenhänden vom Berg herunterkam, der Eisen, Kupfer, Ton, Silber und Gold zermalmte ...“ (Verse 44-45; vgl. Vers 34).

Teils Ton, teils Eisen

Die Füße und Zehen bestanden teilweise aus Eisen und teilweise aus Ton, „ein schwaches Fundament für ein großes Monument“ (ebenda). Vers 43 sagt uns diesbezüglich: „Und daß du gesehen hast Eisen mit Ton vermengt, bedeutet: sie werden sich zwar durch Heiraten miteinander vermischen, aber sie werden doch nicht aneinander festhalten, so wie sich Eisen mit Ton nicht mengen läßt.“

Einige haben sich gefragt, was die Mischung aus Eisen und Ton in der Endzeit, wenn Jesus auf die Erde zurückkehrt, repräsentieren würde. Wenn Gottes Reich auf Erden errichtet wird, wird es eine endzeitliche Fortsetzung des vierten Reiches, des Römischen Reiches, geben. Einige haben spekuliert, daß das beschriebene Bündnis die verschiedenen Kulturen und Völker innerhalb Europas versinnbildlicht, die nicht sofort aneinander „kleben“ würden und damit nur ein schwaches Bündnis sein könnten. Deshalb wurde in der Vergangenheit eine Ost-West- oder eine Nord-Süd-Achse vorgeschlagen.

Das Römische Reich hatte allerdings auf dem Höhepunkt seiner Macht keine Schwierigkeiten, viele verschiedene Völker und Kulturen unter seiner Herrschaft zu vereinen. Vers 40 sagt uns warum: „Und das vierte wird hart sein wie Eisen; denn wie Eisen alles zermalmt und zerschlägt, ja, wie Eisen alles zerbricht, so wird es auch alles zermalmen und zerbrechen.“

Es sieht deshalb so aus, als ob die verschiedenen Völker und Kulturen – für sich allein genommen – nicht der einzige Grund für die zerbrechliche Mischung aus Ton und Eisen wären.

Der Autor ist der Meinung, daß die beschriebene Mischung nicht die Natur der Völker, die an dem letzten Bündnis beteiligt sind, oder die Unterschiedlichkeit ihrer Kulturen beschreibt, sondern eher die Natur des Bündnisses selbst.

The Expositor’s Bible Commentary beurteilt Vers 41 wie folgt: „Der Text deutet klar daraufhin, daß diese letzte Phase von einer Art Föderation gekennzeichnet sein wird, statt eines einzigen mächtigen Reiches“ (ebenda).

Kapitel 17 von Offenbarung beschreibt, wie Jesus bei seiner Rückkehr ein Bündnis von zehn Königen unterwerfen wird. „Und die zehn Hörner, die du gesehen hast, das sind zehn Könige, die ihr Reich noch nicht empfangen haben; aber wie Könige werden sie für eine Stunde Macht empfangen zusammen mit dem Tier. Diese sind eines Sinnes und geben ihre Kraft und Macht dem Tier. Die werden gegen das Lamm kämpfen, und das Lamm wird sie überwinden, denn es ist der Herr aller Herren und der König aller Könige ...“ (Offenbarung 17,12-14).

Die zehn Könige von Offenbarung 17 existieren zur gleichen Zeit wie die zehn Zehen vom Bildnis Nebukadnezars in Daniel 2. Nach der chronologischen Reihenfolge des Bildnisses aus Daniel 2 sind die Zehen der „letzte“ Teil des Bildnisses. Das Reich Gottes wird zur Zeit „dieser Könige“ – der Zehen (Daniel 2,44) – errichtet werden.

Offenbarung 17 beschreibt zehn Könige, die gleichzeitig bei der Rückkehr Jesu existieren werden. Genau wie in Daniel 2 wird ihre Herrschaft durch die Rückkehr Christi beendet. Interessanterweise überlassen diese zehn Könige ihre Macht einer zentralen Autorität, die in Offenbarung 17, Vers 13 das „Tier“ genannt wird.

Mit anderen Worten: Im Gegensatz zur Anfangszeit des vierten Tieres, als die Ausdehnung seines Herrschaftsgebietes durch Eroberung erfolgte – durch die Zerstörung des Gegners (Daniel 2,40) –, wird die endzeitliche Ausdehnung des vierten Tieres tatsächlich eine Föderation sein, in der politische Autoritäten – Könige – freiwillig ihre Macht auf eine zentrale Autorität übertragen werden.

Das wirtschaftliche System, das in Offenbarung 18 beschrieben wird, scheint auf den Grund für die Bereitschaft hinzuweisen, nationale oder regionale Macht einer zentralen Autorität zu überlassen: Wohlstand.

Regierungsgewalt mit demokratischen Mitteln

Die Europäische Union repräsentiert in ihrer gegenwärtigen Form eine wachsende, wenn auch schwerfällige übernationale Regierungsgewalt mit demokratischen Mitteln. Mit der Zeit haben demokratisch gewählte Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten verschiedene EU-Verträge verabschiedet und damit nach und nach immer mehr Autorität auf Brüssel, den Sitz der immer mächtiger werdenden Europäischen Kommission, übertragen.

In der Tat ist der Einfluß „Brüssels“ – ein Ausdruck, der oft in Verbindung mit der Europäischen Kommission gebraucht wird – zu einem Streitpunkt für die 16 Landeschefs der deutschen Bundesländer geworden. Der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber drückte die Sorgen stellvertretend für die anderen Ministerpräsidenten so aus: „Die Kommission versucht zunehmend, ihre Kompetenzen zu lasten der Länder und Regionen auszuweiten. Sie tendiert dazu, die EU für alles zuständig zu erklären ... Europa darf aber nicht geprägt sein von zentralistischer Bevormundung durch ferne und anonyme europäische Behörden“ (FOCUS, 12/2000, Seite 88).

Einige Ministerpräsidenten der Bundesländer waren von den Entscheidungen der Kommission im Interesse des freien und ungehinderten Handels und Wettbewerbs enttäuscht. In Übereinstimmung mit der ihr durch die EU-Verträge übertragenen Vollmachten sieht sich die Europäische Kommission als Verteidigerin des freien Handels innerhalb der Europäischen Union.

In einem Streitpunkt geht es um die genaue Untersuchung der Landesbanken durch die Kommission, um den fairen Wettbewerb zu den kommerziellen Banken zu sichern. Die Landeschefs der Bundesländer fragen sich jetzt, ob die Kommission auch einschreiten wird, um staatlich geführte Fernseh-und Radiostationen, Krankenhäuser und Abfallbeseitigungssysteme zu regulieren.

Wahrscheinlich würde die Kommission einen Eingriff mit der Notwendigkeit erklären, einen unfairen Wettbewerbsvorteil der staatlichen oder staatlich subventionierten Systeme gegenüber ihren kommerziellen Konkurrenten zu verhindern.

Da die EU gegenwärtig hauptsächlich ein wirtschaftliches Bündnis ist und es der Europäischen Kommission obliegt, einen fairen Wettbewerb zu sichern, sind die Bedenken der Ministerpräsidenten der Länder gerechtfertigt.

Wie zu erwarten war, haben sie beschlossen, die zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um eine weitere Untergrabung ihrer regionalen Autorität zu verhindern, einschließlich der Möglichkeit, daß der Bundesrat sein Veto gegen jegliche zukünftige EU-Verträge einlegt, die die Vollmachten der Kommission ausdehnen.

Politisches Bündnis notwendig

Gewisse Schlüsselpunkte der nationalen Souveränität bleiben bei den nationalen Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten. Dazu gehören die Wirtschaftspolitik und die Erhebung von nationalen Steuern.

Allerdings hat die Schaffung einer gemeinsamen Währung für die elf EU-Mitgliedsstaaten, die sich an dem Euro beteiligen (Griechenland wird wahrscheinlich bis zum Ende des Jahres das zwölfte Mitglied), die Notwendigkeit einer weiteren politischen Integration hervorgehoben. Die gemeinsame Währung schließt nationale Wirtschaftsverbände wirkungsvoll zusammen und macht sie gemeinsam verletzbar gegenüber den wirtschaftlichen Entscheidungen, die durch die einzelnen Regierungen innerhalb der EU getroffen werden. Ein Fallbeispiel: die Krise der staatlichen Rentenfonds, die sich in einigen EU-Ländern entwickelt.

Großzügig staatlich geförderte Rentenprogramme in Europa werden oft von vielen Nichteuropäern beneidet. Als die demographische Pyramide, auf der solche Programme basieren, noch intakt war – mehr junge Leute treten in die Arbeitswelt ein, als daß ältere Menschen in Rente gehen –, gab es kein Problem. Allerdings nahm die Geburtenrate in den letzten Jahren immer mehr ab, und fast alle westlichen Länder haben das Problem, daß es jedes Jahr immer mehr Rentner gibt, als ihr staatliches Rentensystem verkraften kann.

Einzelne europäische Regierungen zögern mit Kürzungen, da dies immer eine unbeliebte politische Entscheidung ist. Ein anderer Weg, dieses Problem zu „lösen“, wäre die Anhebung des Steuersatzes. Dies könnte mit dem Euro aber zu einer über die eigenen Landesgrenzen hinausgehende Inflation führen. Wenn Deutschland seine Steuern anheben würde, um das Rentenprogramm zu finanzieren, gäbe es in Irland eine höhere Inflation, selbst wenn Irland genügend Geld hätte, seine Renten zu bezahlen. Würde Italien sein staatliches Rentensystem durch eine höhere Staatsverschuldung statt einer Anhebung von Beiträgen solvent halten wollen, könnten die Zinsen in Belgien für Kapitalanleihen zur Finanzierung neuer Geschäftsgründungen oder anderer Investitionen ansteigen.

Einige Analysten glauben, daß der Euro zu stark belastet werden könnte, wenn es zu einer solchen Krise kommen würde. Die Europäische Zentralbank kann die Zinsen für Banken regulieren, wenn sie Geld leihen, aber sie hat nur wenig Möglichkeiten, auf eine Inflation einzugehen, die durch die Ausgaben und die Staatsverschuldung einer einzelnen nationalen Regierung verursacht wird.

Obwohl der Präsident der Europäischen Kommission vor den möglichen negativen Folgen dieser potentiellen Rentenfondskrise gewarnt hat, hat er keine Autorität, dieses Problem anzugehen: die nationalen Regierunen der EU sind für ihre einzelnen staatlichen Rentenpläne verantwortlich.

Als die Gegner des Euros in Deutschland ihre Bedenken in den Monaten vor der Festlegung der endgültigen Tauschrate für Mitgliedsländer äußerten, war eines ihrer Argumente, daß ohne eine übernationale EU-Regelung bezüglich wirtschaftlicher Fragen und der Steuern die neue Währung sehr gut zum Untergang verdammt sein könnte. Viele Befürworter der EU erkennen die Notwendigkeit für Europa, ein größeres politisches Bündnis einzugehen, um sich der Verflechtung der Wirtschaften verschiedener EU-Mitgliedsstaaten anzupassen. Eine Ausdehnung der Vollmachten der EU auf einen größeren Einfluß über nationale Wirtschaftspolitik ist unter der jetzigen EU-Struktur allerdings aufgrund des gleichen „Mechanismus“, den die Ministerpräsidenten der Bundesländer nutzen wollen, um die zukünftige EU-Politik zu beeinflussen – nämlich das Vetorecht –, einfach unmöglich.

Da jegliche Entscheidung, bei der es um die Ausdehnung der Autorität der EU oder der Zulassung neuer Mitgliederstaaten in die EU geht, eine einstimmige Entscheidung aller gegenwärtigen Mitgliederstaaten erfordert, kann jedes Land den Fortschritt bezüglich eines politischen Bündnisses erfolgreich verhindern. Es ist z. B. undenkbar, daß Großbritannien einer Ausdehnung der EU-Vollmachten zustimmt, wenn dies die nationale Souveränität Großbritanniens einschränken würde – der Hauptgrund, warum Großbritannien nicht zur Eurozone gehört.

Ein zweigleisiges Europa?

Am Anfang eines neuen Jahrhunderts stellte sich der EU die Frage, wie ihre Zukunft aussehen wird. Heute mit den fünfzehn Mitgliedern schon recht schwerfällig, könnte die EU völlig unbeweglich werden, da die Verhandlungen mit zehn Staaten, die die Aufnahme in die EU suchen, erfolgreich abgeschlossen sind. Wird die EU nichts anderes als eine Freihandelszone sein – eine Sichtweise, die eine Minderheit der gegenwärtigen EU-Mitglieder haben, angeführt von England? Oder wird die EU sich zu einem völlig integrierten politischen Bündnis entwickeln, wie es der Wunsch seiner ursprünglichen sechs Mitglieder ist?

Um diesen gegensätzlichen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen, wurde ein „zweigleisiges“ Europa vorgeschlagen, insbesondere von den Staatsmännern Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt. Auf ähnliche Weise wie die gemeinsame Währung gehandhabt wurde (nur diejenigen EU-Länder, die ein Teil der Eurozone sein wollen, müssen die Voraussetzungen für den Euro schaffen), würden die Länder, die eine politische Föderation innerhalb der EU formen wollen, den Plan in Gang setzen, in der Hoffnung, daß auch andere Länder irgendwann zu ihnen stoßen werden. Das existierende freie Handelsabkommen würde weiterhin für alle EU-Mitglieder gelten. Die Mitgliedschaft in einer gemeinsamen Währung und einer möglichen politischen Föderation würde auf diejenigen EU-Mitglieder begrenzt, die sich daran beteiligen möchten.

In einer Rede mit dem Titel „Quo vadis Europa?“ [„Wo gehst du hin, Europa?“], die der deutsche Bundesaußenminister Joschka Fischer am 12. Mai 2000 in Berlin hielt, kündigte er seine Unterstützung für ein „Europa zweier Geschwindigkeiten“ an. Herr Fischer betonte, daß er als Privatperson sprach und nicht in seiner offiziellen Funktion als Deutschlands Außenminister. Seine Vision fordert ein „Kerneuropa“, welches von wenigen Ländern innerhalb eines größeren Europas formiert würde: „Ein solches ,Kerneuropa‘ müßte die Avantgarde oder die Lokomotive für eine politische Integration sein und würde alle Elemente einer späteren Föderation beinhalten“ – ein kleines Zentrum Europas innerhalb einer größeren Europäischen Union, wie ein Kommentator erklärte.

Herr Fischer betonte, daß es für die Länder, die sich dem „Kerneuropa“ zu einem späteren Zeitpunkt anschließen wollen, aber die Bedingungen eines vollen politischen Bündnisses nicht erfüllen, verschiedene Schritte der Anpassung geben müsse, um ihnen die Aufnahme in den vorgeschlagenen neuen inneren Kreis Europas zu ermöglichen.

Kritik an Herrn Fischers „Europa zweier Geschwindigkeiten“ muß vor der Tatsache gesehen werden, daß die EU in zwei verschiedenen Fällen jetzt schon zweigleisig fährt. Beim Euro sind gegenwärtig elf von fünfzehn EU-Mitgliedsstaaten beteiligt, und das Schengener Abkommen, das die gemeinsamen inneren Grenzen und die Verantwortung für die äußeren Grenzen der Abkommensunterzeichner festlegt, haben neun der fünfzehn EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnet. Bis auf einen negativen Kommentar des französischen Innenministers, der Deutschland beschuldigte, das Heilige Römische Reich wiederbeleben zu wollen, waren die Reaktionen der ursprünglichen EU-Länder im allgemeinen zustimmend. Die skandinavischen Mitglieder der EU sowie England und Irland scheinen sich der Idee zu widersetzen, und die neueren EU-Mitglieder Griechenland, Portugal und Spanien gelten als skeptisch oder nicht interessiert.

Ein „Avantgarde“-Europa und die Prophezeiung

Joschka Fischers Vorschlag für ein „Avantgarde“-Europa veranlaßt uns, einen schärferen Blick auf die Hauptprophezeiungen von Daniel 2 und Offenbarung 17 zu werfen, bei denen es um eine endzeitliche Wiederbelebung des vierten Weltreiches von Daniel 2 – dem Römischen Reich – geht. Statt sich zu fragen, wie die gegenwärtigen fünfzehn EU-Mitglieder (oder die möglichen 28 Mitglieder in einigen Jahren) in das Schema der „Zehn“ passen, symbolisiert durch die Zehen vom Bildnis Nebukadnezars und der zehn Könige von Offenbarung 17, Verse 12-14, könnte ein „Kerneuropa“ (wie Herr Fischer es ausdrückte), das ein völlig integriertes politisches Bündnis beinhaltet, welches Teil einer größeren europäischen Freihandelszone wäre, die prophetische Vision leicht erfüllen. Diese Konfiguration würde es England ermöglichen, zu der Freihandelszone zu gehören (und von ihr „kontrolliert“ zu werden), ohne aber zu dem inneren Kreis der Staaten gehören zu müssen, die das politisch vereinigte „Kerneuropa“ ausmachen.

Eine größere europäische Freihandelszone, die fast ganz Europa mit einschließt, stellt einen großen Markt an Käufern und Verkäufern für ein wirtschaftlich mächtiges Haus zur Verfügung, wie in dem babylonischen System von Offenbarung 18 beschrieben. Und ein „Kerneuropa“ mit voller politischer Integration und Entscheidungen nach einem Mehrheitssystem bietet sich als Staatsgewalt für die unabhängige europäische schnelle Eingreiftruppe an, die im Rahmen der heutigen NATO-Struktur aufgebaut werden soll. Nach Meinung des Autors kann unter den jetzigen Bedingungen in Europa nur eine übernationale politische Struktur dieser Art eine alternative Führung gegenüber dem Einfluß der Supermacht USA bieten.

Das „Avantgarde“-Europa wird durch Konsens gebildet und damit das Muster fortsetzen, welches mit dem ursprünglichen Römer Vertrag des Jahres 1957 begonnen wurde. Seitdem haben demokratisch gewählte Regierungen immer mehr Regulierungsgewalt an eine zentrale Autorität abgetreten, was zu einem beachtlichen Maß an wirtschaftlicher Integration in der EU geführt hat.

Die neuere Geschichte führt einige von Gottes Volk dazu, zu glauben, daß nur ein diktatorisches System in der Tradition Adolf Hitlers in der Lage wäre, die endzeitlichen Prophezeiungen der Bibel zu erfüllen. Europa scheint jedoch derzeit nicht in diese Richtung zu gehen. Statt dessen sieht es so aus, als ob sich das Muster, das vor über 40 Jahren gegründet wurde, fortsetzen könnte, bis die letzte Erweiterung des Römischen Reiches einer zentralen Autorität besondere Macht überträgt: „Diese sind eines Sinnes und geben ihre Kraft und Macht dem Tier“ (Offenbarung 17,13).

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– "Unsere Meinung" vom 20. Dezember 2002