Schaffte Jesus Christus das Gesetz ab?

Viele bekennende Christen sind der Überzeugung, Jesus Christus habe das Gesetz Gottes abgeschafft. Ist diese Ansicht mit Jesu eigenen Worten vereinbar?

Von der Redaktion

Für Christen ist das richtige Verständnis der Aussagen Jesu Christi zum Gesetz Gottes sehr wichtig. In Johannes 14, Vers 15 sagte Jesus: „Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.“ Diese Ermahnung scheint ein klarer Ausdruck des Willens Christi zu sein. Trotzdem gibt es unterschiedliche Auslegungen dieses Verses. Was meinte Jesus, als er sagte, daß wir unsere Liebe zu ihm durch unseren Gehorsam gegenüber seinen Geboten ausdrücken?

Die unterschiedlichen Meinungen zu diesem Vers haben nichts mit der klaren Aufforderung Jesu zu tun, wir sollten etwas halten. Vielmehr geht es darum, was wir halten sollten. Welche Gebote meinte Jesus?

Manche Christen meinen nämlich, Jesus habe die in dem Alten Testament enthaltenen Gebote abgeschafft und seinen Jüngern neue Gebote gegeben. Nach dieser weitverbreiteten Theorie meinte Jesus mit seiner Feststellung in der Bergpredigt, er sei gekommen, um das Gesetz zu „erfüllen“ (Matthäus 5,17), daß er das Gesetz in Wirklichkeit abschaffte. Seine Ausführungen in Matthäus 5 mit den Worten „ihr habt gehört“ und „ich aber sage euch“ sollen eine Bestätigung dieser Sichtweise sein.

Die Bergpredigt ist eine öffentliche Kernaussage zu der von Jesus Christus befürworteten Lebensweise. Jesu Ausführungen in der Bergpredigt zum Gesetz und zum richtigen Verhalten seiner Nachfolger sind der Grundstein für das Verständnis der Aufforderung Jesu, seine Gebote zu halten.

Der biblische Bericht über das Leben Jesu und das Beispiel seiner Apostel und der frühen Kirche helfen uns Jesu Worte zu verstehen. Darüber hinaus weisen die Prophezeiungen des Alten Testamentes auf Jesu Wirken und Botschaft hin. Diese Perspektive außer acht zu lassen kann dazu führen, daß man eine eigene, bibelfremde Auslegung in die Worte Jesu zum Gesetz hineinliest.

Alttestamentliche Prophezeiungen

Das Alte Testament beinhaltet viele Prophezeiungen über das Kommen des Messias und sein Wirken. Jesaja 42 enthält eine Prophezeiung über die Lehre Christi zum Gesetz. In Vers 1 lesen wir: „Siehe, das ist mein Knecht – ich halte ihn – und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen.“ In Vers 4 heißt es dann: „Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung.“ Verse 6 und 7 zeigen uns, daß Jesu Wirken „zum Licht der Heiden“ und zum Öffnen der Augen der Blinden dienen sollte. Das Öffnen blinder Augen geht über die physische Heilung hinaus und schließt auch das Vermitteln eines geistlichen Verständnisses mit ein.

Nun stellt sich die Schlüsselfrage: Geschieht diese geistliche Heilung, indem neue Gesetze eingeführt werden, oder durch die Erweiterung der bereits bestehenden Gesetze? In Vers 21 lesen wir: „Dem Herrn hat es gefallen um seiner Gerechtigkeit willen, daß er sein Gesetz herrlich und groß mache.“ Nach dieser Prophezeiung sollte Jesus das Gesetz herrlich machen, statt es in einem negativen Licht darzustellen oder gar abzuschaffen.

Warum war es notwendig, daß Jesus das Gesetz herrlich machte? Dies war notwendig geworden, weil Gottes Israel eine falsche Sichtweise gegenüber dem Gesetz angenommen hatte und es nicht mehr gehorchte.

In Hesekiel 18, Vers 25 finden wir eine gewöhnliche Auffassung zum Gesetz Gottes. In diesem Abschnitt weist Gott Israel scharf zurecht: „Und doch sagt ihr: Der Herr handelt nicht recht. So höret nun, ihr vom Hause Israel: Handle denn ich unrecht? Ist’s nicht vielmehr so, daß ihr unrecht handelt?“ Gott wiederholt seinen Tadel in Vers 29: „Und doch sprechen die vom Hause Israel: Der Herr handelt nicht recht. Sollte ich unrecht handeln, Haus Israel? Ist es nicht vielmehr so, daß ihr unrecht handelt?“

Gott hatte den Priestern die hohe Verantwortung gegeben, das Volk das Gesetz Gottes zu lehren. Wie Gott in Maleachi 2, Versen 7-8 zeigt, hatten die Priester dabei versagt: „Denn des Priesters Lippen sollen die Lehre bewahren, daß man aus seinem Munde Weisung suche; denn er ist ein Bote des Herrn Zebaoth. Ihr aber seid von dem Wege abgewichen und habt viele zu Fall gebracht durch falsche Weisung und habt den Bund mit Levi verdorben, spricht der Herr Zebaoth.“

Auch Hesekiel beschreibt das Versagen der bösen Führer Israels: „Seine Priester tun meinem Gesetz Gewalt an und entweihen, was mir heilig ist; sie machen zwischen heilig und unheilig keinen Unterschied und lehren nicht, was rein oder unrein ist, und vor meinen Sabbaten schließen sie die Augen; so werde ich unter ihnen entheiligt“ (Hesekiel 22,26). Daniel hielt fest, daß Israel nicht auf Gottes Wahrheit geachtet hatte (Daniel 9,13). Das Volk achtete deshalb nicht auf Gottes Gesetz, weil es dem Volk nicht beigebracht wurde.

Gott gab einigen der alttestamentlichen Propheten Einblick in die Tätigkeit Christi, mit der das Gesetz verherrlicht wurde. Jeremia beschrieb den Neuen Bund, den Gott mit seinem Volk schließen wird: „Das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein“ (Jeremia 31,33).

Das Wunder des Neuen Bundes wird durch das Geschenk des heiligen Geistes, den Gott bei der Händeauflegung nach Reue und der Taufe schenkt, möglich gemacht.

In Hebräer 8, Vers 6 und Kapitel 9, Vers 15 erfahren wir, daß der Gehorsam gegenüber diesem Neuen Bund zu besseren Verheißungen – einschließlich des ewigen Lebens – führt. Es gibt keine Bibelstellen, die uns zeigen, daß sich der Neue Bund auf ein neues Gesetz gründet. Statt dessen lesen wir, daß der Neue Bund auf denselben Geboten basiert, die im Alten Testament verkündet wurden.

Gottes Geist und der Neue Bund

Ein wichtiger Teil des Neuen Bundes ist die Zugänglichkeit des heiligen Geistes, der einen Menschen befähigt, die geistliche Absicht von Gottes Gesetz zu verstehen und es dem Geiste nach zu halten. In symbolischer Sprache hatte Gott dies für sein Volk vorausgesagt, als er die „Beschneidung des Herzen“ prophezeite: „Und der Herr, dein Gott, wird dein Herz beschneiden und das Herz deiner Nachkommen, damit du den Herrn, deinen Gott, liebst von ganzem Herzen und von ganzer Seele, auf daß du am Leben bleibst“ (5. Mose 30,6).

In seinem Brief an die Römer stellte Paulus fest, daß der menschliche Sinn ohne den Geist Gottes nicht in der Lage ist, Gott zu gehorchen: „Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag’s auch nicht“ (Römer 8,7). Israel besaß Gottes Geist nicht und stand daher dem Gesetz Gottes mit einer negativen Geisteshaltung gegenüber. Ohne den Geist Gottes hat man keinen Glauben (Galater 5,22). Der Glaube macht eine ganz andere Denkweise möglich. Die diesbezügliche Verwandlung Israels sagte Gott durch Hesekiel voraus: „Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun“ (Hesekiel 36,26-27).

Diese Prophezeiung schließt die Auferstehung des alten Israels mit ein, wodurch Israel die Gelegenheit bekommen wird, Gottes Gesetz dem Geiste nach zu verstehen und zu halten. Durch den heiligen Geist wird Israel Gottes Gesetz schätzen und respektieren können. In Johannes 16, Vers 8 stellte Jesus fest, daß der heilige Geist „der Welt die Augen“ bezüglich der Sünde „auftun“ wird.

Die Geschichte zeigt, daß Gottes Gesetz mißachtet und lächerlich gemacht wurde. Die Propheten des Alten Testamentes sagten Jesu Kommen voraus, um dem Gesetz die ihm gebührende Ehre zu verschaffen. Sehen wir uns nun Christi Wirken im Neuen Testament an, als er diese Prophezeiungen erfüllte.

Jesus bestätigte das Gesetz

Jesu Lehre in der Bergpredigt enthält viele Kontraste. Seine Ermahnung in Matthäus 6, Vers 8 ist ein gutes Beispiel für seine Lehrmethode: „Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen.“ Immer wieder betonte er den Unterschied zwischen seinen wahren Nachfolgern und der heidnischen Umwelt bzw. der oberflächlichen jüdischen Religion seiner Zeit. Jesus rief seine Nachfolger zur Umkehr auf, womit er klar zeigte, daß seine Jünger durch die Religion der Juden kein echtes Verhältnis zu Gott hatten: „Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ (Matthäus 4,17).

Der Ausdruck „Tut Buße“ ist eine Übersetzung des griechischen Wortes metanoia, mit dem eine vollständige Veränderung der Gesinnung gemeint ist. Mit anderen Worten sollten Jesu Jünger ihr Leben und ihre Beziehung mit Gott aus einer völlig neuen Perspektive sehen, als die Juden seiner Zeit sie kannten.

In Matthäus 5, Verse 7-8 sagte Jesus, daß die Barmherzigen Barmherzigkeit erlangen und daß diejenigen, die reinen Herzens sind, „Gott schauen“ werden. Diese Verse gehören zu den sogenannten Seligpreisungen, in denen Jesus seine Erwartungen an seinen Nachfolgern und deren reuevolle Einstellung darlegt. In Versen 13-16 bedient sich Jesus der Analogie des Salzes und des Lichtes, um diese neue Geisteshaltung zu erläutern, deren reuevoller Inhalt Auswirkungen auf andere Menschen hat. Jesus erwartete, daß sich diese neue Gesinnung in der Handlungsweise seiner Jünger widerspiegelte.

Ein buchstabengetreues Halten des Gesetzes mit seinen Minimalanforderungen war für Jesus Christus nicht annehmbar. Er forderte eine neue Handlungsweise von seinen Jüngern, damit andere Menschen die Früchte einer reuevollen Geisteshaltung erleben konnten. Jesu Jünger sollten Teil einer neuen Gesellschaft sein, die den gewöhnlichen Vorstellungen ihrer Umwelt widersprach.

Mit seiner Einführung eines neuen Konzepts der Reue ließ Jesus seine Zuhörer die Frage stellen, ob er alles von Gott bis dahin in der Schrift Offenbarte abschaffen würde. Im allgemeinen glaubten die Menschen seiner Zeit immer noch an die Gültigkeit des Gesetzes, obwohl sie es nicht hielten. Sie respektierten das Gesetz, ohne es richtig zu verstehen. Nun fragten sich die Zuhörer bei der Bergpredigt, wie weitreichend die neuen Ideen Jesu wirklich waren. Wollte er ihr Gesetz und ihre Traditionen abschaffen? Führte er ganz neue Gesetze ein?

Jesus war Gottes Sohn und konnte daher die Gedanken seiner Zuhörer erkennen. In Matthäus 5, Vers 17 fing er an, ihre nicht ausgesprochenen Fragen zu beantworten: „Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen.“ Mit anderen Worten sagte er ihnen, daß ihre Denkweise falsch sei, wenn sie meinen würden, er wolle das Gesetz abschaffen. Er stellte unmißverständlich klar, daß die Vorstellung, er würde das Gesetz oder die Propheten abschaffen, falsch sei: „Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“

Die Bedeutung des Wortes „auflösen“ ist klar und wird nicht mißverstanden. Jesu Verwendung des Wortes „erfüllen“ hingegen hat manche Bibelleser verwirrt. Jesus fuhr fort und stellte klar, was er mit dem Wort „erfüllen“ meinte. An dieser Stelle können wir jedoch festhalten, daß Jesus, was immer er mit dem Wort „auflösen“ meinte, damit nicht die Abschaffung des Gesetzes meinte. Mit Nachdruck sagte Jesus, wir sollten dies nicht denken.

Das Wort „erfüllen“ leitet sich von dem griechischen Wort plerosai ab, das „voll füllen“ bedeutet. Einige Christen meinen, daß dieses „voll füllen“ des Gesetzes und der Propheten durch Jesus die Bedeutung hat, er habe sie abgeschafft. Daher sei das Gesetz durch Christus selbst – durch seine Person – ersetzt worden. Mit dieser Sichtweise legen solche Menschen die Worte Christi wie folgt aus: „Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern abzuschaffen und zu ersetzen.“ Diese Auslegung, die in der Theologie antinomistisch genannt wird, steht im direkten Widerspruch zur Heiligen Schrift.

Jesus erweiterte das Gesetz

Wenn wir verstehen, daß Christus Gottes „Gesetz herrlich und groß“ machen sollte (Jesaja 42,21), dann erkennen wir, daß diese Auslegung nicht biblisch, sondern verführerisch und falsch ist. Die restlichen Worte Jesu in Matthäus 5 zeigen uns, daß dieses „voll füllen“ des Gesetzes mit dessen Bestätigung, Erweiterung und Vertiefung zu tun hatte, statt es irgendwie zu „vollenden“. Jesus fährt in der Bergpredigt fort: „Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht“ (Vers 18). Wir können sicher sein, daß, Gottes Gesetz so lange existieren wird, wie Himmel und Erde auch noch existieren wird.

In Versen 17-18 erwähnt Jesus das Gesetz im allgemeinen. In den nächsten beiden Versen behandelt Jesus die praktische Anwendung des Gesetzes für seine Zuhörer und für uns: „Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Verse 19-20).

Das Wort „auflöst“ ist eine Übersetzung des griechischen Wortes lusai mit der Bedeutung „von einer Verpflichtung entbinden“. Jesus sprach sich gegen diejenigen aus, die Gottes Gesetz verwässern wollen. Da Jesus das Gesetz in Versen 17-18 erwähnt hatte, verstanden seine Zuhörer, daß er mit „diesen kleinsten Geboten“ Teile des Gesetzes Gottes, das auch die Zehn Gebote enthält, meinte. Jesus tut nichts, um seinen Zuhörern einen anderen Eindruck zu vermitteln, denn die Gültigkeit des Gesetzes ist genau die Perspektive, die er ihnen einschärfen will. In den nachfolgenden Versen untermauert er diese Perspektive, indem er einige der Zehn Gebote zitiert, um sie zu erweitern bzw. ihre geistliche Bedeutung zu erklären.

Vers 19 offenbart ein Schlüsselprinzip der Lehre Christi. „Größe“ im Reich Gottes hängt davon ab, ob man Gottes Gesetz selbst praktiziert und es andere Menschen gelehrt hat. Es ist nicht unsere Aufgabe zu beurteilen, wie gut andere Menschen das Gesetz halten; das ist Jesu Verantwortung. Ewiges Leben ist Gottes Geschenk an uns Menschen (Römer 6,23), aber unsere „Belohnung“ im Reich Gottes hängt von unseren Werken ab.

Johannes schrieb die diesbezügliche Offenbarung Jesu nieder: „Siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, einem jeden zu geben, wie seine Werke sind“ (Offenbarung 22,12). Damit bestätigt Jesus das gleiche Prinzip, das er in der Bergpredigt gelehrt hatte.

Jesus überraschte seine Zuhörer bei der Bergpredigt, als er ihnen sagte, ihre Gerechtigkeit müsse über die Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer hinausgehen (Matthäus 5,20). Diese Aussage muß seine Zuhörer schockiert haben, denn die Gerechtigkeit der Pharisäer und Schriftgelehrten galt als vorbildlich. Sie schienen gerecht zu sein, aber in Wirklichkeit übertraten sie das Gesetz. Sie hatten dem Gesetz Gottes Hunderte von zusätzlichen Vorschriften hinzugefügt und setzten diese mit Strenge durch, aber selbst hielten sie nicht den geistlichen Kern des Gesetzes. Viele ihrer Vorschriften wirkten eigentlich der von Gott gewollten Absicht seines Gesetzes entgegen. Ihre Mißachtung der geistlichen Absicht des Gesetzes bei ihrer Betonung der Treue dem Buchstaben nach ließ sie zu Heuchlern werden. Dafür wies Jesus sie später scharf zurecht (Matthäus 23).

In Matthäus 5, Versen 21-48 finden wir das Kernstück der Verherrlichung des Gesetzes – das „Vollfüllen“ der Gebote, das Jesus und sein Vater von Anfang an beabsichtigt hatten. In diesem Abschnitt finden wir sechs Gegenüberstellungen, in denen Jesus die Formel „ihr habt gehört ... ich aber sage euch“ benutzte.

Dieser Abschnitt wird von einigen so verstanden, daß Jesus neue Gebote einführte, die sich von den Geboten seines Vaters unterschieden. Sie meinen sogar, Jesus habe gegen die Gebote seines Vaters rebelliert. Eine andere Variante lautet, Jesus habe zwar die Gebote seines Vaters gehalten, um sie dadurch abzuschaffen und seine eigenen, neuen Gebote einzuführen. Dieser Sichtweise scheint Jesus selbst zu widersprechen: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel“ (Matthäus 7,21). Nach Jesu Worten hängt unser Eintritt in das Reich Gottes von unserem Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters ab.

In Johannes 10, Vers 30 sagte Jesus: „Ich und der Vater sind eins.“ In Johannes 17, Vers 21 erklärte Jesus, daß er und sein Vater in vollkommener Einigkeit sind. In Johannes 5, Vers 30 lesen wir: „Ich kann nichts von mir aus tun. Wie ich höre, so richte ich, und mein Gericht ist gerecht; denn ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.“ Jesus ordnete sich dem Willen seines Vaters unter bis hin zum Tode (Lukas 22,42). Jesus und sein Vater hatten keine unterschiedlichen Agenden und unterschiedlichen Gebote.

Was meinte Jesus mit der Formel „ihr habt gehört ... ich aber sage euch“? Befassen wir uns zunächst mit der Formel selbst. Der Ausdruck „ihr habt gehört“ bezieht sich auf die gewöhnliche Auslegung der religiösen Gesellschaft der Juden zu Jesu Lebzeiten. Dieser Ausdruck bezieht sich nicht auf Gottes Gesetz, sondern auf jüdische Tradition. Das Wort „ihr habt gehört“ ist eine Übersetzung des griechischen errethe mit der wörtlichen Bedeutung „es wird gesagt“. Im Gegensatz dazu gibt es das griechische Wort gegraptai mit der Bedeutung „es wurde geschrieben“. Zum Vergleich: Jesus antwortete auf die Versuchungen des Teufels mit gegraptai, als er sich auf die Heilige Schrift bezog (Matthäus 4,4. 7. 10).

Matthäus 5, Vers 43 ist vielleicht das beste Beispiel für die nicht biblische Tradition der Juden: „Ihr habt gehört, daß gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.“ Die letzten drei Wörter in diesem Vers sind nie Teil des Gesetzes Gottes gewesen. Sie waren aber Teil der irreführenden Tradition, die Jesus verurteilte.

Mit dem zweiten Teil seiner Formel „ich aber sage euch“ berichtigt Jesus das falsche Verständnis des Gesetzes. Die Traditionen der Juden führten dazu, daß sie das Gesetz Gottes eigentlich brachen. Jesus kritisierte oft diese Traditionen. Ein Beispiel dafür ist Matthäus 15, Verse 1-9, wo die Schriftgelehrten und Pharisäer die Jünger Jesu kritisierten, weil sie sich nicht an die „Überlieferung der Ältesten“ hielten (Vers 2; Elberfelder Bibel). Die Schriftgelehrten und Pharisäer hatten das Konzept ritueller Waschungen auf das alltägliche Leben übertragen und ermahnten Jesus und seine Jünger, weil sie dieser Tradition nicht folgten.

Jesus antwortete ihnen: „Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Warum übertretet auch ihr das Gebot Gottes um eurer Überlieferung willen? Denn Gott hat gesagt: Ehre den Vater und die Mutter! und: Wer Vater oder Mutter flucht, soll des Todes sterben. Ihr aber sagt: Wer zum Vater oder zur Mutter spricht: Eine Opfergabe sei das, was du von mir an Nutzen haben würdest, der braucht seinen Vater oder seine Mutter nicht zu ehren; und ihr habt so das Wort Gottes ungültig gemacht um eurer Überlieferung willen“ (Verse 3-6; Elberfelder Bibel).

In diesem Abschnitt wies Jesus auf die Gesetzlosigkeit der Traditionen der Schriftgelehrten und Pharisäer hin. Um ihre Weigerung, ihren Eltern zu helfen und damit Gottes Gebot zu halten, zu rechtfertigen, spielten sie eine ansonsten lobenswerte Tat – die finanzielle Unterstützung des Tempels – gegen Gottes Gebot aus. Jesus machte klar, daß diese Denkweise Gottes Gebot mißachtete. Mit anderen Worten: Die Schriftgelehrten und Pharisäer vermittelten den Eindruck, sie würden das Gesetz Gottes halten, während sie es in Wirklichkeit übertraten. Sie legten das Gesetz verkehrt aus (Römer 10,2).

Zum Schluß der Bergpredigt verurteilte Jesus die Heuchelei, die zu einer Gesetzesauslegung dieser Art führte: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen böse Geister ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Wunder getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie gekannt; weicht von mir, ihr Übeltäter!“ (Matthäus 7,21-23).

In Matthäus 5 zeigt Jesus, daß die gewöhnliche Religion seiner Zeit in Wirklichkeit die Gesetzlosigkeit förderte. Vier seiner Beispiele (Verse 21, 27, 33 und 43) haben mit den Zehn Geboten zu tun, und zwei weitere Beispiele handeln von der freizügigen Geisteshaltung der Juden gegenüber dem Willen Gottes (Verse 31 und 38). In jedem Beispiel schränkten die Schriftgelehrten und Pharisäer die Bedeutung des Gebots ein und dehnten die Freizügigkeit aus.

In seinen Ausführungen zum sechsten Gebot (Verse 21-26) verurteilte Jesus die innere Haltung des Zorns und der Verachtung gegenüber einem Bruder. Nach jüdischer Tradition war Haß erlaubt, sofern man keinen Mord beging. Bezüglich des siebten Gebots, das Ehebruch verbietet, betonte Jesus die Wichtigkeit unserer Gedanken (Verse 27-30). Nach der Tradition der Pharisäer wäre es z. B. erlaubt gewesen, pornographisches Material zu benutzen, sofern man nicht buchstäblich Ehebruch beging. In Versen 31-32 schränkte Jesus die Rechtsordnung ein, die Ehescheidung erlaubte. Die jüdische Religion zur Zeit Jesu legte diese Vorschrift sehr breit aus und förderte damit die Scheidung.

In Versen 33-37 behandelte Jesus das Schwören eines Eides. Der Zusammenhang weist auf die gewöhnliche Vorstellung der Juden hin, daß es auch erlauben war zu schwören, wenn man vorhatte, einen Eid zu halten. Jesus setzte dieser verkehrten Vorstellung ein Ende, indem er die Juden ermahnte, sie sollten überhaupt nicht schwören.

In Versen 38-42 verurteilte Jesus die Vergeltung. Die im Gesetz enthaltenen Vorschriften, die eine Wiedergutmachung für Schaden und Verletzung vorsahen, wurden dazu genutzt, um sich an einem „Gegner“ zu rächen. Als Nächstes rief Jesus seine Zuhörer auf, alle Menschen zu lieben – auch Feinde (Verse 43-48). Damit wies Jesus die gewöhnliche Vorstellung seiner Zeit zurück, man dürfe die eigenen Feinde hassen und verachten.

Die sechs Beispiele sind Jesu Erläuterung seiner Ermahnung an seine Nachfolger, ihre Gerechtigkeit müsse besser sein als die der Schriftgelehrten und Pharisäer. Deren Gerechtigkeit war nur vorgetäuscht. Durch die reuevolle Geisteshaltung, die Jesus in Matthäus 4, Vers 17 erwähnte, ist es für die Nachfolger Jesu möglich, den von ihm gesetzten Maßstab einer besseren Gerechtigkeit zu erreichen.

Als Vorbild für seine Nachfolger redete Jesus nicht nur über die Gerechtigkeit, er handelte auch nach seiner Lehre und zeigte uns durch sein vollkommenes Leben, wie uns die Gerechtigkeit ins Herz geschrieben werden kann. In Johannes 2, Vers 6 lesen wir dazu: „Wer sagt, daß er in ihm bleibt, der soll auch leben, wie er gelebt hat.“ Wie Jesus müssen wir uns dem Willen unseres himmlischen Vaters unterordnen. Wie Jesus müssen wir unsere Eltern ehren (Johannes 19,26-27) und den Sabbat bzw. die Festtage halten (Lukas 4,16; Johannes 7,2. 10. 37).

Die Frage wird von einigen gestellt, ob wir, wenn wir diese Dinge tun, uns damit das Heil verdienen. Die Antwort auf diese Frage ist ein entschiedenes Nein. Durch den Gehorsam verdienen wir uns nicht das Heil. Alle Menschen haben gesündigt (Römer 3,23) und damit den Tod „verdient“. Aus diesem Grund kann das ewige Leben nur ein Geschenk Gottes sein (Römer 6,23). Das Heil ist Gottes Geschenk, das durch seine Gnade möglich wird.

Auf der anderen Seite kann uns der Ungehorsam das ewige Leben kosten. Der Prophet Maleachi warnte Israel vor den Konsequenzen des Ungehorsams gegenüber dem Gesetz Gottes: „Denn siehe, es kommt ein Tag, der brennen soll wie ein Ofen. Da werden alle Verächter und Gottlosen Stroh sein, und der kommende Tag wird sie anzünden, spricht der Herr Zebaoth, und er wird ihnen weder Wurzel noch Zweig lassen“ (Maleachi 3,19). Dieser Vers beschreibt den Feuersee, der für die Reuelosen vorgesehen ist. Jesus Christus inspirierte Johannes, die gleiche Strafe für die Bösen niederzuschreiben (Offenbarung 1,1; 21,8).

Wie kann man die Strafe des ewigen Todes meiden? „Gedenket an das Gesetz meines Knechtes Mose, das ich ihm befohlen habe auf dem Berge Horeb für ganz Israel, an alle Gebote und Rechte!“ (Maleachi 3,22). Die einfache Wahrheit ist, daß wir durch Gnade gerettet werden, wenn wir unser Leben im Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes führen.

Die Apostel und die Kirche des Neuen Testamentes befolgten Jesu Aufforderung, die Gebote zu halten. Sie ahmte die gesetzestreue Lebensführung Jesu Christi nach. In 1. Petrus 2, Vers 21 ermahnt uns Petrus, in Jesu Fußtapfen nachzufolgen. Der Gemeinde zu Korinth sagte Paulus, sie sollte seine Lebensführung, mit der er Jesus folgte, nachahmen (1. Korinther 11,1). Den Philippern sagte er, sie sollten die gleiche Gesinnung wie Jesus Christus haben (Philipper 2,5).

Jesus Christus tat genau das, was die Propheten des Alten Testamentes über ihn voraussagten. Er kam, um die volle Bedeutung des Gesetzes Gottes klarzumachen. Er führte keine neuen Gesetze ein und schaffte auch nicht das Gesetz Gottes ab. Statt dessen unterstützte er Gottes Gesetz in Wort und Tat. Jesus erwartet, daß wir ihm nachfolgen. Deshalb fordert er uns auf: „Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten“ (Johannes 14,15).

Gnade, Glauben und Gesetz

Paulus lehrte, daß das Heil ein Geschenk Gottes aus Gnade durch Glauben ist (Epheser 2,8). Das griechische Wort für „Gnade“ ist charis, das Geschenk oder Gunst bedeutet. Im Neuen Testament kann dieses Wort entweder Gottes Geschenk der Gnade oder seine gnädige Gunst bedeuten.

In allen seinen Briefen macht Paulus klar, daß Gottes zum Heil führende Gnade „nicht aus Werken [ist], damit sich nicht jemand rühme“ (Vers 9). Ohne die Bedeutung dieser grundlegenden Aussage des Paulus schmälern zu wollen, muß festgestellt werden, daß die Gegner des Gehorsams gegenüber dem Gesetz Gottes Paulus’ allgemeine Sichtweise bezüglich christlicher „Werke“ gerne ignorieren.

Zum Beispiel seine Perspektive gleich im nächsten Vers: „Denn wir sind sein Werk, erschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, daß wir darin wandeln sollen“ (Vers 10). Diejenigen, die die Gründe dafür ignorieren, daß wir Gottes „Werk“ sind, daß wir „in Christus Jesus zu guten Werken“ erschaffen werden und daß wir in diesen guten Werken wandeln sollen, verstehen deshalb einen bedeutenden Anteil der Gesamtbotschaft des Paulus nicht.

An anderer Stelle verbindet Paulus unsere Werke und unseren Gehorsam mit Gottes Heilswerk in uns, weil dies uns die Möglichkeit gibt, seine Absicht für unser Leben zu erfüllen: „Also, meine Lieben, – wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein in meiner Gegenwart, sondern jetzt noch viel mehr in meiner Abwesenheit, – schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen“ (Philipper 2,12-13).

Ganz gewiß sind Vergebung und das Heil Gaben von Gott. Sie können nicht „verdient“ werden. Als Menschen besitzen wir nichts von ausreichendem Wert, um die Vergebung unserer Sünden zu „bezahlen“ und das Heil zu „erkaufen“. Doch Jesus sagt uns unmißverständlich, daß wir sterben werden, wenn wir nicht bereuen (Lukas 13,3. 5). Mit der Reue verdienen wir uns nicht das Heil, sondern Reue ist eine Voraussetzung für das Heil.

Reue bedeutet die Abkehr von der Sünde, die Aufgabe gesetzlosen Verhaltens (1. Johannes 3,4). Wir können den heiligen Geist nicht bekommen und bekehrt werden, es sei denn, wir sind willens zu bereuen und das Gesetz Gottes zu halten (Apostelgeschichte 2,38).

Glauben ist eine weitere Voraussetzung für das Heil. Wir lesen, daß es „ohne Glauben unmöglich [ist], Gott zu gefallen“ (Hebräer 11,6). Wir müssen „ohne Verdienst gerecht [werden] aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut“ (Römer 3,24-25). Daß Gott Glauben von uns verlangt, bedeutet aber nicht, daß wir das Heil „verdienen“, indem wir diesen geforderten Glauben haben.

Auch „verdienen“ wir das Heil nicht durch Werke. Aber Gott erwartet Glauben und Gehorsam im Leben derer, denen er ewiges Leben schenkt. Diejenigen, die dem Gehorsam gegenüber Gottes Gesetz widerstehen, entscheiden bewußt, gewisse Aussagen des Paulus zu betonen und andere klärende Stellen aber zu ignorieren.

Ein Beispiel dieser Handhabung können wir in Römer 3 erkennen. In Vers 28 heißt es: „So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ Paulus erläutert das Thema Rechtfertigung: Christi Tod entsühnt unsere früheren Sünden. Paulus zeigt, daß wir die Sündenvergebung niemals „verdienen“ können.

Das hat aber nichts damit zu tun, wie wir leben sollten. Es hat überhaupt keinen Einfluß auf die Wichtigkeit des Gesetzes Gottes als Leitfaden für unser Verhalten. Paulus beschreibt nur, wie Gott „die Sünden vergibt, die früher begangen wurden“ (Verse 25-26), damit wir nun als gehorsame Diener Gottes unser Leben fortsetzen können.

Um dies unmißverständlich klarzumachen, stellt Paulus in Vers 31 fest: „Wie? Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz auf.“

Paulus wollte klarstellen, daß er nicht einmal andeutungsweise die Abschaffung des Gesetzes Gottes meinte. Im Gegenteil: Ohne das Gesetz hätten wir keine Möglichkeit zu verstehen, was die Sünde ist, „denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“ (Vers 20). Vergessen wir nicht, daß die Sünde die Existenz des Gesetzes voraussetzt, denn „die Sünde ist die Gesetzlosigkeit“ (1. Johannes 3,4; Elberfelder Bibel).

Paulus betont also, daß Gottes „Gnade“ bzw. seine Sündenvergebung die Gültigkeit seines Gesetzes bestätigt und daß Sünde die Übertretung dieses Gesetzes ist. Gottes Gnade durch Glauben setzt ein Gesetz voraus, das die zu vergebenden Sünden genau bestimmt. Daher halten wir eine Wiederholung der Worte des Paulus für zwingend notwendig: „Wie? Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz auf.“