Sind alle geistlichen „Schatten“ überholt?

Der Apostel Paulus bezeichnete den Sabbat und die Festtage als „Schatten des Zukünftigen“. Meinte er damit, daß diese Tage nunmehr überholt und bedeutungslos sind?

Von der Redaktion

Wenn Sie an einem sonnigen Tag spazierengehen und auf den Boden schauen, was sehen Sie? Sie sehen Ihren Schatten. Da sind Sie als Silhouette abgebildet, und eine vollkommene Darstellung Ihres Profils zeigt sich als Schatten auf dem Boden.

Sie können Ihren Schatten nicht täuschen, noch können Sie ihm davonlaufen. Ihr Schatten spiegelt Ihre Züge und Ihre Bewegungen präzise wider. Wo immer Sie hingehen, begleitet er Sie und offenbart, ob Sie dick oder dünn, groß oder klein sind, oder ob Sie lange Haare oder eine Glatze haben. Er ist da, für alle Welt ersichtlich.

Wenn jemand Ihren Schatten sieht, weiß er dann, wie Sie wirklich sind?

Bestimmt nicht. Ihr Profil kann er schon erkennen. Wenn er Ihren Schatten lange genug beobachtet, wird er sogar mit Ihren gewohnheitsmäßigen Bewegungen vertraut. Wenn Sie sich am Ohr kratzen, wird er das sehen. Wenn Sie Ihre Armbanduhr neu stellen, wird er das beobachten. Trotzdem wird er in Wirklichkeit sehr wenig über Sie wissen.

Es ist offensichtlich, daß Ihr Schatten nicht Sie selbst ist. Ihr Schatten entspricht Ihren körperlichen Eigenschaften, aber er ist nicht wirklich Sie. Er gibt dem Beobachter beispielsweise keine Auskunft über Ihr inneres Wesen. Er sagt nichts über Ihre Gedanken aus, es sei denn, Ihr Profil spiegelt Ihre Stimmung wider. Wer Ihren Schatten beobachtet, weiß daher nicht wirklich, was sich in Ihren Gedanken abspielt. Ihr Schatten gibt also Hinweise über Sie, aber nur Hinweise und kein vollständiges Bild Ihres Wesens.

Sie und Ihr Schatten

Worum geht es bei diesen Ausführungen über Sie und Ihren Schatten? Ab und zu hört man das Argument, daß bestimmte Einrichtungen oder Handlungen des Alten Testamentes keinen bleibenden Wert für geistlich gesinnte Menschen darstellen, weil sie nur ein Schatten sind. Uns wird angeblich als Ausdruck des Neuen Bundes nahegelegt, uns über jegliche physische Darstellung der großen geistlichen Wahrheiten Gottes zu erheben und uns mit diesen Wahrheiten selbst auseinanderzusetzen. Es wird behauptet, daß solche physischen Darstellungen durch die von ihnen repräsentierten großen Wahrheiten nichtig gemacht werden.

Seit Jahrhunderten wird darüber debattiert, welche Rolle – wenn überhaupt eine – die im Alten Testament enthaltenen Gesetze im Leben heutiger Christen spielen. Im Laufe der Zeit haben sich zwei grundsätzliche Denkweisen herauskristallisiert. Die eine ist überzeugt, daß das moralische Gesetz des Alten Testamentes nach wie vor seine Gültigkeit hat und daher für Christen verbindlich ist. Die andere meint hingegen, daß wir in der neutestamentlichen Ära der Gnade und des Evangeliums nicht länger an das alttestamentliche Gesetz gebunden sind.

Die erste Denkweise besagt, daß ein Gesetz des Alten Testaments, wenn das Neue Testament es nicht durch eine klare Aussage oder durch ein übergeordnetes Prinzip für erfüllt erklärt, nach wie vor seine Gültigkeit hat. Bei der zweiten Denkweise wird behauptet, daß ein alttestamentliches Gesetz – und übrigens alle zum Alten Bund gehörenden Gesetze –, wenn das Neue Testament es nicht wiederholt, überholt ist.

In einem Punkt sind sich die Anhänger der beiden miteinander unvereinbaren Denkweisen jedoch einig: Der Teil des Gesetzes, der als rituelles Opfergesetz bezeichnet wird, ist heute nicht bindend gültig. In diesem Fall gibt es eine Übereinstimmung darüber, daß die Zeremonien des rituellen Opfergesetzes als „Schatten“ einer sehr viel größeren Wirklichkeit gedacht waren, die bereits heute existiert.

Trotz der Übereinstimmung in diesem einen Punkt sind die Anhänger der zweiten Denkweise in der Mehrheit davon überzeugt, daß alles, was man als „Schatten“ bezeichnen kann, ein quasi physischer Ritus und daher von keinem Wert für christliches Verhalten ist. Für diese Menschen sind Riten gleichbedeutend mit Schatten, die alle durch die „Wirklichkeit in Christus“ ersetzt worden sind.

Diejenigen, die solche Argumente anführen, können recht überzeugend sein, besonders für diejenigen, die die Bibel nicht wirklich kennen oder nicht willens sind, sich mit den wirklichen Aussagen der Bibel auseinanderzusetzen. Was sind die Argumente dieser Leute? Nachfolgend einige Beispiele:

• Ist die Schattenanalogie nicht einleuchtend? Wenn man die Realität erkennt und danach leben will, warum muß man Zeit und Mühe bei der Einhaltung des Schattens verschwenden?

• Bestätigt die Bibel in Hebräer 10, Vers 1 nicht selbst den beschränkten Wert von Schatten? Dort heißt es in bezug auf die Opferriten des Alten Testamentes: „Denn das Gesetz hat nur einen Schatten von den zukünftigen Gütern.“ Die Opfer waren nur ein Schatten des Opfers Jesu Christi. Da nun Jesus geopfert worden ist, brauchen wir die Tieropfer nicht mehr.

• In ähnlicher Weise sollen der Sabbat und die Festtage ein Schatten sein: „So richte euch nun niemand wegen Speise oder Trank oder betreffs eines Festes oder Neumondes oder Sabbats, die ein Schatten der künftigen Dinge sind, der Körper selbst aber ist des Christus“ (Kolosser 2,16-17; Elberfelder Bibel).

• Wenn die Beschneidung für die unbeschnittenen Berufenen nicht länger notwendig ist, weil die alttestamentliche Anordnung der Beschneidung ein Schatten der Beschneidung des Herzens war, ist es dann nicht logisch, daß man sich keine Gedanken wegen des Schattens einer geistlichen Ruhe zu machen braucht? Ist man nicht in die geistliche Ruhe eingetreten, indem man Jesus Christus annimmt? Dann brauchte man sich auch keine Gedanken um den Sabbat als Vorläufer der geistlichen Ruhe zu machen.

Diese Argumente sind der wesentliche Gesichtspunkt vieler Christen, wenn es um das Thema Schatten geht.

Auf den ersten Blick scheinen diese Argumente stichhaltig zu sein. Wenn wir heute keine Opfer mehr bringen müssen, weil sie auf das Opfer Christi hinwiesen, sollten wir dann nicht konsequent sein und einsehen, daß wir den Sabbat und die Festtage nicht halten müssen, weil sie auf die geistliche Ruhe hinweisen und im Falle des Sabbats auch an die Schöpfung Gottes erinnern? Wenn das physische Zeichen der Beschneidung im Neuen Testament aufgehoben wird, ist das nicht ein Hinweis darauf, daß alle physischen Handlungen unnötig sind?

„Schatten-Gesetze“

Diese Sichtweise von Schatten finden wir in vielen theologischen Büchern und Abhandlungen. Der konservative Theologe George Ladd faßt diese Auslegung wie folgt zusammen:

„Die Gültigkeit des Gesetzes spiegelt sich durch die Tatsache wider, daß sich Paulus auf bestimmte Anordnungen im Gesetz als Norm für christliches Verhalten beruft ... Es ist jedoch sehr deutlich, daß die bleibende Gültigkeit des Gesetzes in dem Ethischen und nicht in dem Zeremoniellen liegt ... Obwohl die Beschneidung ein Gebot Gottes und Teil des Gesetzes ist, stellt Paulus die Beschneidung den [Zehn] Geboten gegenüber und trennt so das Ethische von dem Zeremoniellen – das Permanente von dem Vorübergehenden. Daher kann er die entolai theou (die Gebote Gottes) den Heiden nahelegen, und dennoch das zeremonielle entolai (Gebote), wie z. B. die Beschneidung, Speisen, Feste und selbst das Sabbathalten, konsequent ablehnen (Kolosser 2,16), denn diese sind lediglich ein Schatten der Realität, die durch Christus gekommen ist“ (G. E. Ladd, A Theology of the New Testament, Seite 510).

Ein weiteres typisches Beispiel dieser Denkweise finden wir in einer Fußnote der New International Version Study Bible zu Kolosser 2, Verse 16-17:

„Die zeremoniellen Gesetze des Alten Testamentes werden hier als Schatten bezeichnet ..., weil sie das Kommen Christi symbolisch darstellten. Jegliches Einfordern der Einhaltung solcher Zeremonien [weist auf] ein Verkennen [hin], daß ihre Erfüllung bereits stattgefunden hat. Dieses Element der kolossäischen Ketzerei war mit einer strengen Askese verknüpft.“

Da viele das moralische Gesetz Gottes für eine Last halten, sind die angeblich unwichtigeren Aspekte des Gesetzes – physische Handlungen – in der Tat Rauch in den Augen und ein Stachel im Fleisch. Wer würde sich da solche unnötigen Banalitäten wie die Festtage, die Sabbatheiligung oder Speisegesetze auferlegen wollen?

Das Banalisieren der Wahrheit

Diese Logik brandmarkt jede Andeutung, Gott verlange irgendwelche physischen Handlungen von uns, als ein Banalisieren der Religion. „Sehen Sie“, heißt es dann, „täglich verhungern Tausende von unterernährten Kindern. Jesus sagte uns, wir sollen unseren Nächsten lieben, statt uns über religiöse Banalitäten wie Speiseverbote zu streiten. Bemühen Sie sich lieber um die Nahrungsversorgung der Hungernden, statt sich Gedanken über den Sabbat und andere alttestamentliche Gesetze zu machen.“

Dieses Argument wirkt bestimmt auf die Emotionen, aber seine Logik ignoriert ein grundsätzliches biblisches Prinzip. Von sich aus kann der Mensch nämlich nicht bestimmen, was richtig und falsch ist. Ohne Gottes Hilfe können wir nicht wissen, was ihm wichtig ist (Sprüche 14,12; Jeremia 10,23; Matthäus 7,13-14).

In ähnlicher Weise glauben viele, daß das Halten des Sabbats Sie zu einem „Legalisten“ oder zu einem „Grenzgänger“ macht, wie sie es nennen. Nachfolgend ein Beispiel dieser Denkweise:

„Religiöse Gruppen, vielleicht mehr als andere Gruppen, neigen dazu, sich von Außenseitern unterscheiden zu wollen. Deshalb beschäftigten sich die religiösen Experten zur Zeit des Paulus viel mit Grenzen. Diesen ,Grenzen‘ – bestimmten religiösen Praktiken – wurde die meiste Aufmerksamkeit geschenkt, nicht etwa deshalb, weil sie in sich wichtig waren, sondern weil sie der Testfall waren, um zu bestimmen, wer zum Volk Gottes gehörte und wer nicht. So orientierte sich für sie eine geistliche Lebensführung an Grenzen. Während sich die religiösen Experten auf die Klärung von Grenzen konzentrierten, betonte Jesus den Mittelpunkt einer gläubigen Lebensführung“ (J. Ortberg, „Warum die Jünger Jesu ihre Hände nicht wuschen“, Christianity Today, 15. August 1994).

Die Pharisäer sowie diejenigen, die der Arbeit des Paulus widerstanden und meinten, man könne durch Gesetzeswerke die Rechtfertigung erlangen, benutzten das Gesetz Gottes zur Untermauerung ihres Legalismus. Das beweist jedoch nicht, daß Gottes Gesetz das Problem ist. Der falsche Gebrauch einer Sache muß nicht unbedingt bedeuten, daß die Sache selbst falsch ist. Das ist ein falsches Argument, das häufig als angeblicher Beweis gegen die Gültigkeit des Sabbats und der Festtage benutzt wird.

Askese kontra christliche Freiheit

Wie sollen wir auf solche Argumente antworten? Der beste Ausgangspunkt ist wahrscheinlich die Bibelstelle in Kolosser 2, Verse 16-17. Umgekehrt sehen nämlich die Gegner der Sabbatheiligung diese Verse oft als Ausgangspunkt für ihr Argument, wonach die Realität gekommen ist und damit die Schatten überflüssig sind. Übrigens ist diese Auslegung dieser Verse nichts Neues; so wurden sie seit dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert interpretiert.

In seinem Brief an die Gemeinde zu Kolossä setzt sich Paulus mit ketzerischen Lehren auseinander. Der grundlegende Irrtum, den er behandelt, ist die Vorstellung, daß Christen mehr als Jesus Christus brauchen, um die Versöhnung mit Gott zu erlangen und ein beständiges Verhältnis zu ihm zu haben.

Die falschen Lehrer in Kolosse behaupteten, daß Jesus Christus nicht ausreichend sei. Zusätzlich zu Christus seien Engel als Mittler notwendig (Kolosser 2,18).

Darüber hinaus lehrten sie, daß der Weg zu wahrer Geistlichkeit strenge Askese und Rituale erfordert. Dazu gehörte das „Ausziehen des fleischlichen Leibes“, das „Nichtverschonen des Leibes“ (Vers 11 bzw. Vers 23, Elberfelder Bibel), Verbote gegen das Tasten und Kosten und den Genuß von Speisen und Getränken (Verse 21 und 16). „Wegen Speise und Trank“ in Vers 16 läßt sich besser mit „wegen Essen und Trinken“ übersetzen.

Der Fehler bei der üblichen Auslegung dieses Abschnitts liegt in der Annahme, bei dem behandelten Thema gehe es um die Speisegesetze selbst oder darum, ob wir die Festtage und den Sabbat halten sollen. Darum geht es jedoch gar nicht. Statt dessen stellt Paulus die ketzerische Askese der christlichen Freude und dem Feiern gegenüber. Die Ketzer in Kolossä kritisierten (richteten) die dortigen Christen, weil sie anläßlich ihrer Festtage mit Essen und Trinken feierten. Die Frage war nicht, ob Christen die Festtage oder den Sabbat halten sollten, sondern wie sie sie halten sollten.

Paulus ermutigt die Kolosser, die Kritik der Ketzer zu ignorieren und ihr festliches Essen und Trinken an den Festtagen Gottes zu genießen. Die übliche Auslegung der Sabbatgegner – daß Paulus den Kolossern sagte, sie sollten diejenigen ignorieren, die ihnen das Halten der Feste Gottes nahelegten – ist ungerechtfertigt, da sie im Gesamtkontext die vielen klaren Hinweise auf asketische Praktiken außer acht läßt.

Freilich heißt es in Vers 17, daß manche der erwähnten Dinge in der Tat Schatten sind. Diese Aussage jedoch dahingehend auszulegen bedeutet, etwas in die Bibelstelle hineinzulesen, das nicht dort steht. Im Gegenteil: Der Sabbat und die Festtage sind der Schatten einer wunderbaren Zukunft, und deshalb lohnt es sich, sie zu halten. Ebenso lohnt es sich, das Passah mit den physischen Symbolen Brot und Wein zu halten, die den gebrochenen Leib und das vergossene Blut Jesu Christi darstellen. Zu dieser Reihe gehört auch das physische Ritual der Taufe, die die Beisetzung unseres alten Menschen in einem Wassergrab versinnbildlicht.

Die Anhänger der sabbatfeindlichen Auslegung von Kolosser 2, Vers 16 stellen anscheinend niemals die Frage, warum Paulus Opferriten und die Beschneidung in diesem Vers nicht erwähnte. Schließlich soll es in diesem Vers darum gehen, unnötige Praktiken für Christen aufzulisten.

Jesu Christi Worte und Beispiel

Sind Schatten überholt? Sind sie wertlos? Diese bedeutsame Frage müssen sich alle stellen, die Gott gehorchen wollen. Wer an dem Wert von Schatten für Christen zweifelt, sollte dabei ein bemerkenswertes Vorbild im Neuen Testament beachten. Wer ist in allen Dingen der christlichen Lebensführung unser Vorbild? Freilich ist es Jesus Christus.

Es ist deutlich zu erkennen, daß unser Herr und Meister Jesus Christus Schatten ernst nahm. Zweimal reinigte Jesus Christus den Tempel. Obwohl der Tempel ein Schatten war (Hebräer 8,5), erboste sich Jesus über die Entheiligung dieses Schattens. Wahrscheinlich kennen Sie die Geschichte: Jesus stürzte die Tische der Geldwechsler um und verjagte sie aus dem Tempelgelände.

Dabei sind Jesu Worte interessant: „Steht nicht geschrieben: Mein Haus soll ein Bethaus heißen für alle Völker? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht“ (Markus 11,17). Der Apostel Johannes kommentiert die Wirkung dieser Handlung auf die Jünger Jesu: „Seine Jünger aber dachten daran, daß geschrieben steht: Der Eifer um dein Haus wird mich fressen“ (Johannes 2,17).

Der Schattentempel war für Jesus Christus sehr wichtig. Er riskierte seine persönliche Sicherheit, um diejenigen scharf zurechtzuweisen, die die geistliche Bedeutung einer physischen Stätte mißachteten, an der physische Priester physische Opferriten brachten.

Das Beispiel Christi zeigt uns, wir dürfen die Schatten der Bibel nicht ignorieren. Sonst gefährden wir uns, wie Jesu eigene Worte uns zeigen: „Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich“ (Matthäus 5,19; Hervorhebung durch uns).

Wer das Halten der im Alten Testament enthaltenen Gesetze, die Jesus und die ersten Christen hielten, als Entehrung Jesu bezeichnet, widerspricht Jesu eigenen Worten und Beispiel. Nach Jesu eigenen Worten setzt sich diese Person einer großen Gefahr aus!

Gott gebietet „Schatten“

Eine einfache Tatsache macht die klassischen Argumente gegen Schatten zunichte: Das Neue Testament offenbart mehrere Schatten und gebietet, daß wir sie halten. Die zwei wichtigsten sind die Taufe, mit der unser Begräbnis mit Christus symbolisiert wird, und das Passah. Das Brot und der Wein beim Passah sind lediglich „Schatten“ des vollkommenen Opfers Jesu Christi, und dennoch verstehen wir alle, daß wir sie halten sollen.

Das sind nicht die einzigen Schatten, die Christen im Neuen Testament geboten werden. Das Händeauflegen (Hebräer 6,2), das Salben mit Öl (Jakobus 5,14), die Fußwaschung (Johannes 13,14) und andere Handlungen sind nicht deshalb geboten, weil sie etwa größer sind als die geistlichen Wahrheiten und Prinzipien, die sie symbolisieren, sondern weil sie unserem geistlichen Verständnis förderlich sind. Immer wieder gebot Gott in der Bibel physische Handlungen zu diesem Zweck, und daran hat sich für uns heute nichts geändert.

Die im Neuen Testament gebotenen „Schatten“ offenbaren eine wichtige Logik: Wenn es stimmt, daß Christen den Sabbat deshalb nicht halten müssen, weil er nur ein Schatten ist, dann würde ein logisch konsequenter Gott überhaupt keine „Einhaltung von Schatten“ erwarten. Die genannten Beispiele beweisen aber gerade das Gegenteil!

Gehen wir einen Schritt weiter. Wenn die „Schatten“ Taufe und Passah zu halten sind, wie kann man behaupten, daß andere Schatten bedeutungslos sind? Die oft zitierten Verse in Kolosser 2, Verse 16-17 sagen nichts Derartiges aus.

In diesem Zusammenhang stellt sich eine wichtige Frage bezüglich der Bedeutung von 1. Korinther 5, Verse 7-8. In der Vergangenheit haben viele diese Verse einfach als Aufforderung zum Entfernen des Sauerteigs aus ihren Wohnungen während der Tage der ungesäuerten Brote verstanden. Andere sind anderer Ansicht und meinen, man brauche sich nur geistlich zu „entsäuern“, ohne das Fest der Ungesäuerten Brote halten zu müssen. Wie soll man diesen Abschnitt verstehen?

„Darum schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr ein neuer Teig seid, wie ihr ja ungesäuert seid. Denn auch wir haben ein Passahlamm, das ist Christus, der geopfert ist. Darum laßt uns das Fest feiern nicht im alten Sauerteig, auch nicht im Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern im ungesäuerten Teig der Lauterkeit und Wahrheit.“

Wie bereits gesagt, legt man diesen Abschnitt unterschiedlich aus. Die einfache Auslegung ist ein wörtliches Verständnis: Christen sollen die Tage der ungesäuerten Brote halten, physisch sowie geistlich. Sie sollen bemüht sein, geistlich ständig ungesäuert zu sein („schafft den alten Sauerteig weg“), wie sie es physisch während des Festes sind („wie ihr ja ungesäuert seid“).

Die andere Auslegung beinhaltet ein symbolisches Verständnis der Verse: Christen sollen jeden Tag ihres Lebens nach der geistlichen Bedeutung des alttestamentlichen Festes der Ungesäuerten Brote leben. Wir sollen weiter geistlich ungesäuert sein („schafft den alten Sauerteig weg“), in der gleichen Weise, wie wir am Tag unserer Taufe den Prozeß des geistlich Ungesäuertwerdens einleiteten („wie ihr ja ungesäuert seid“).

Welche Auslegung ist richtig? Vielleicht finden wir die Antwort nicht durch eine strenge Analyse der fraglichen Verse. Wir müssen uns ein wenig Abstand verschaffen und die Verse im Kontext des Buches, in dem sie vorkommen, und vor dem Hintergrund der ganzen Bibel berücksichtigen.

Dabei dürfen wir nicht vergessen, daß die eigene Meinung einen Einfluß auf die Auslegung dieser Verse haben kann. Die allgemeine protestantische Sichtweise zum Gesetz Gottes hat beispielsweise zur Folge, daß man von vornherein geneigt ist, die zweite Auslegung zu akzeptieren.

Fangen wir mit gesundem Menschenverstand an. Wenn Ihnen jemand Ende September sagt: „Denken Sie an den Tag der Deutschen Einheit!“, würden Sie dann davon ausgehen, daß er damit buchstäblich den 3. Oktober meint oder daß er lediglich die symbolische Bedeutung des Tages im Sinn hat? Wie würde man im letzten Fall nur die symbolische Bedeutung des Tages „feiern“?

Überlegen wir ferner, zu welcher Jahreszeit Paulus den ersten Brief an die Korinther schrieb. In Kapitel 11 behandelt Paulus das Passah. Ist es daher nicht logisch anzunehmen, daß das Buch in der gleichen Jahreszeit wie das Passah und die Tage der ungesäuerten Brote geschrieben wurde? Der Kontext von Kapitel 11 bestätigt diese Sichtweise: „Der Mensch prüfe aber sich selbst, und so esse er von diesem Brot und trinke aus diesem Kelch“ (Vers 28).

Ein unmittelbar bevorstehendes Passah wird hier angedeutet. Eine spätere Aussage zum Schluß des Buches bestätigt dies: „Ich werde aber in Ephesus bleiben bis Pfingsten“ (1. Korinther 16,8). Paulus bezog sich auf ein weiteres Fest Gottes, das ca. sieben Wochen nach dem Fest der Ungesäuerten Brote stattfindet.

Wie sollen wir vor diesem zeitlichen Hintergrund die Aufforderung von Paulus „Darum laßt uns das Fest feiern“ verstehen (1. Korinther 5,8)? Die natürlichste, unwillkürlichste Auslegung ist, daß Paulus die Korinther anwies, das Fest sowohl im buchstäblichen Sinne als auch seiner geistlichen Bedeutung nach zu halten – die Bedeutung, die durch den Schatten angezeigt wird. Auf keinen Fall sagte Paulus den Korinthern, sie sollten das Fest nicht nach seinem buchstäblichen Sinne halten.

Den Vers so auszulegen, daß alle Hinweise von Paulus auf das Fest nur symbolisch zu verstehen sind, hat nur dann einen Sinn, wenn man den Vers mit der voreingenommenen Meinung auslegt, die Festtage seien heute nicht länger bindend gültig. Es gibt jedoch keine klaren Aussagen im Neuen Testament, die die Aufhebung der Festtage bestätigen. Daher ist der Versuch, die Worte des Paulus in 1. Korinther 5 nur symbolisch auszulegen, ein bewußtes Ignorieren der offensichtlichen Bedeutung seiner Ermahnung an die Korinther.

Das Beispiel Jesu Christi

Es wird außerdem behauptet, daß Jesus Christus verpflichtet war, das Gesetz zu bestätigen, weil der Alte Bund zu seinen Lebzeiten noch in Kraft war. Stimmt diese Meinung, dann haben wir große Schwierigkeiten. Wie können wir überhaupt wissen, welche Aussagen und Handlungen Jesu an uns gerichtet sind und welche sich nur auf die Menschen seiner Zeit beziehen, die wie er auch dem Alten Bund unterstellt waren?

Diejenigen, die im Alten Testament Worte finden, nach denen sie ihr Leben ausrichten möchten, setzen sich gelegentlich der Kritik aus, sie würden die Gesetze auswählen, die ihnen passen, und andere Gesetze ignorieren, die ihnen nicht genehm sind. Wäre es aber nicht schlimmer, wenn man unter den Worten Jesu diejenigen auswählen müßte, die uns angeblich nicht gelten?

Nein, wir dürfen uns nicht zu Richtern bezüglich der Gültigkeit der Worte Jesu aufspielen. Wir müssen seinem Vorbild in allen Dingen folgen. Paulus schrieb: „Folgt meinem Beispiel, wie ich dem Beispiel Christi!“ (1. Korinther 11,1). Der Apostel Johannes schrieb: „Wer sagt, daß er in ihm bleibt, der soll auch leben, wie er gelebt hat“ (1. Johannes 2,6).

Wie man seine Worte auch deuten möchte, kann eine Tatsache nicht geleugnet werden. Jesus Christus hielt die Festtage und den Sabbat und aß keine unreinen Speisen. Nach seinem Tode opferten seine Jünger hingegen keine Tiere zur Sündenvergebung, und Jesus wies sie nicht an, sich an rituellen Waschungen zu beteiligen.

Es ist eine höchst fragwürdige Bibelauslegung, wenn man Jesu Verhaltensweise allein auf völkisches Brauchtum oder auf die Verpflichtung gegenüber dem Alten Bund zurückführen möchte, das Verhalten seiner Jünger hingegen der Erfüllung der Realität durch Jesus Christus zuschreiben will.

Wenn Jesu Lebensführung in diesen Dingen ein Vorbild für die eigenen Jünger war, ist sie nicht ebenso ein Vorbild für uns? Es hört sich fast zu einfach an, ist jedoch in Wirklichkeit eine Wahrheit, über die wir nachdenken sollen.

Beschneidung und Tieropfer

Manche meinen, daß wir genauso wie bei der Beschneidung und dem Opfergesetz auch mit allen anderen Schatten verfahren sollen. Findet man in der Bibel Anhaltspunkte, die diese Betrachtung rechtfertigen?

Das Neue Testament macht klar, daß Christen keiner Verpflichtung unterliegen, sich physisch beschneiden zu lassen oder Tieropfer zu bringen als Sühne für ihre Sünden. Im Gegensatz dazu kann man jedoch keine Aussagen mit der gleichen Deutlichkeit in bezug auf den Sabbat und die Festtage finden.

Die physische Beschneidung ist heute nicht notwendig für Christen, denn sie diente als physisches Zeichen der Abstammung von Abraham und als solches wies sie auf die Beziehung zwischen Gott und den Nachkommen Abrahams hin. Heute ist sie nicht obligatorisch, weil die Zugehörigkeit zu der geistlichen Nachkommenschaft Abrahams für Christen nicht von der physischen Beschneidung, sondern von der geistlichen Bekehrung abhängt.

Tieropfer sind nicht notwendig, weil wir das Opfer Jesu Christi zur Vergebung unserer Sünden haben. Vor dem Erscheinen Jesu hatte das alte Israel hingegen nur Tieropfer, mit denen eine rituelle Sühne für Sünde, aber keine echte Befreiung von der Todesstrafe der Sünde erreicht wurde.

Gott hob diese Schatten für Christen nicht deshalb auf, nur weil sie Schatten waren. Sie wurden wegen anderer Gründe aufgehoben.

Gott gibt uns bestimmte Schatten als wunderbares Geschenk, um uns an tiefgreifende und wichtige geistliche Prinzipien zu erinnern. Genauso wie Ihr eigener Schatten nicht alles Wissenswerte über Sie offenbart, zeigen uns geistliche Schatten nicht alles über das, worauf sie hinweisen.

Nichtsdestoweniger zeigen uns Schatten sehr viel. Statt auf die falsche Vorgehensweise hereinzufallen, zwischen der Realität und dem Schatten wählen zu müssen, sollten wir uns nach den Beispielen des Neuen Testamentes verhalten und sowohl die Gültigkeit als auch die geistliche Wichtigkeit von beiden, Schatten und Realität, erkennen und beherzigen.

Selbst dann, wenn die Realität gekommen ist – und unter keinen Umständen ist die Realität aller Schatten bereits eingetreten –, kann es sein, daß wir den Schatten brauchen. In dem Fall brauchen wir beides – den Schatten und seine Realität.

Das ist die klare Lehre der Bibel.