Eine kleine Tat mit großer Wirkung

Von Joanne Rutis

Meine Tochter und ich wollten Strumpfpuppen machen. Wir suchten ein Geschäft auf, um bunte Wolle für die Puppenhaare zu kaufen. Zunächst bemerkten wir die ältere Frau nicht, die die verschiedenen Wollsorten sorgfältig durchsuchte, bis sie uns eine Packung entgegenhielt und fragte: „Ist diese Farbe blaugrün?“

Ich antwortete, daß es der gewünschten Farbe wahrscheinlich ausreichend ähnelte. Ich hätte es dabei belassen und nach meiner eigenen Wolle weitersuchen können, aber irgendwie machte die Frau den Eindruck auf mich, daß es ihr auf diese bestimmte Farbe ankam.

Was geht das mich an?

Wenn Sie mit Wolle gearbeitet haben, wissen Sie, daß man meinen kann, die richtige Farbe gefunden zu haben. Wenn das Garn jedoch zu einem anderen Zeitpunkt als Teil einer anderen Anfertigung gefärbt wurde, kann die Farbe unterschiedlich genug sein, um Ihnen eine unangenehme Überraschung bei der Fertigstellung Ihres Produktes zu bereiten.

Die Frau wußte nichts von den Farbcodes, und daher half ich ihr, diese auf der Garnverpackung zu finden. Wir sorgten dafür, daß die Farbcodes alle einheitlich waren, damit die Farben doch übereinstimmten.

Die Frau dankte mir für die Hilfe und wollte gehen, kam aber verlegen wieder auf mich zu und fragte nach einer Schere. Ich zeigte ihr die ausgestellten Scheren am Ende der Verkaufsreihe. Man könnte sich sagen: Was geht das mich an?

Meine Tochter und ich wollten das Geschäft gerade verlassen, als die Frau abermals auf uns zukam. Meine einfache Tat hatte sie so beeindruckt, daß sie mir für meine Freundlichkeit noch einmal danken wollte. Es stellte sich heraus, daß sie in einem Altenheim wohnte und die Wolle für eine Freundin kaufen wollte, die sich vor kurzem einer Bypassoperation unterziehen mußte.

Isolation vermeiden

Später dachte ich darüber nach, wieso meine einfache höfliche Tat so ungewöhnlich war, daß die Frau meinte, sie sollte mir nochmals besonders danken. Dann fragte ich mich, wie oft ich einer fremden Person meine Aufmerksamkeit gezeigt hatte, und ich mußte gestehen, daß es nicht sehr oft der Fall gewesen war.

Es ist traurig, aber wahr: Die meisten von uns leben in einer Welt, in der wir uns mit Unbekannten nicht abgeben. Wir gehen aneinander vorbei und scheuen es oft, einander anzusprechen bzw. anzuschauen. Ich fragte mich, warum dies in meinem Leben der Fall sei.

Diese von Übeln geplagte Welt hat uns gelehrt, Fremden mit Vorsicht zu begegnen. Viel zu oft haben wir von Fällen gehört, in denen ein hilfsbereiter Mensch von einer unbekannten Person, die vorgab, Hilfe zu brauchen, ausgenutzt oder gar kriminell mißbraucht wurde. Freilich möchte keiner von uns in eine solche Falle gelockt werden.

Das traurige Resultat ist jedoch, daß unsere Welt es nicht zuläßt, daß wir gegenüber Fremden aufgeschlossen sein können und wir aus diesem Grund womöglich eine notwendige Hilfeleistung unterlassen. Wir finden Nächstenliebe zwar richtig und gut, sehen uns aber oft außer stande, sie im praktischen Leben zu verwirklichen. Als ich darüber nachdachte, kam mir die Ermahnung der Bibel in den Sinn, das Gute nicht vom Bösen überwinden zu lassen.

Gelegenheiten nützen

Mein Nachdenken über die scheinbar unbedeutende Begegnung mit der alten Frau in der Wollabteilung eröffnete mir eine wichtige Perspektive: Ich sollte jede Gelegenheit dieser Art nützen, um Gutes zu tun und dem Bösen – wenn auch nur in „kleinster“ Weise – entgegenzuwirken. Ich muß gestehen, daß ich aufgrund meiner familiären Verpflichtungen keine Zeit für größere Dienstprojekte habe, aber meine Begegnung mit der alten Frau zeigte mir, daß ich mit einem freundlichen Wort und einer kleinen Geste der Nächstenliebe viel bewirken kann.

Die meisten Leute gehen im Geschäft an mir vorbei, ohne mich anzuschauen oder anzusprechen. Sie haben es gelernt, sich in ihrer schützenden Selbstisolation abzugrenzen. Der Alltagsstreß mag zu ihrem Verhalten beitragen. Wenn sich aber die Gelegenheit ergibt, die ich jetzt aktiv suche, fühle ich mich verpflichtet, anderen entgegenzugehen und diese Art von kleiner, täglicher Nächstenliebe zu praktizieren.

Es kommt immer wieder vor, daß ich jemanden wie diese alte Frau treffe, der ein freundliches Wort und Hilfe braucht und der dadurch meinen Tag viel mehr bereichert als umgekehrt. Fazit: Geben ist wirklich seliger als Nehmen. Damit tragen wir ein bißchen mit kleinen Taten zu einer besseren Welt bei und lassen uns nicht vom Bösen überwinden.