Andere Opfer der Abtreibung

Eine Abtreibung führt oft zu jahrelangen Trauer-, Schuld- und Schamgefühlen. Und doch bietet Gott Vergebung, Liebe und Hoffnung. Eine Betroffene schildert ihren eigenen Schmerz und weist einen Weg nach vorn.

Von Lorraine Barnett

Als Mitarbeiterin einer Schwangerschaftsberatungsstelle, die sich zum Ziel gesetzt hatte, Frauen von einer Abtreibung abzuraten, wurde ich häufig eingeladen, unsere Zielsetzung vor Kirchengemeinden zu erklären und freiwillige Helfer anzuwerben. Eine Begegnung, die ich zum Muttertag bei einem dieser Treffen erlebte, habe ich nicht vergessen.

In meinen Vorträgen gebe ich meinen Zuhörern Einblick in meine eigene Lebensgeschichte, damit sie nachempfinden können, wie sich eine Abtreibung auf die Frau auswirkt, die sie vornehmen lässt. Denn es geht nicht nur darum, das Leben der Ungeborenen zu schützen, sondern auch darum, sich um die Millionen von Frauen zu kümmern, die eine Schwangerschaft haben abbrechen lassen.

Das Leben mit einem schmerzhaften Geheimnis

An diesem Muttertag erzählte ich einer Gemeinde in meinem Vortrag, dass ich im Alter von 16 Jahren schwanger geworden war und dass meine Eltern das Kind nach der Geburt zur Adoption freigegeben haben. Nachdem die Adoptiveltern das Kind angenommen hatten, wurde die Angelegenheit in meiner Familie konsequent totgeschwiegen. Mit den Stürmen in meiner Seele musste ich allein fertig werden. Da aber meine Kräfte diesen Stürmen in keiner Weise gewachsen waren, machte ich den Schaden nur noch größer. Mit 18 Jahren wurde ich wieder schwanger.

Es war mir diesmal undenkbar, irgendjemandem ein Wort davon zu sagen. Ich hegte eine flüchtige Hoffnung, dass der Vater des Kindes sowohl mich als auch das Kind würde behalten wollen. Aber das war ein Traum, der sich nicht erfüllte. Der Vater des Kindes nötigte mich, die Schwangerschaft abzubrechen. Unter seinem Drängen sah ich keinen Ausweg und opferte mein Kind auf dem Altar der Selbsterhaltung.

Ich offenbarte meinen Zuhörern, wie mich Scham und Selbstverachtung über die nächsten dreißig Jahre fast zerstörten. Ich lebte in ständiger Angst, dass mein Geheimnis gelüftet werden würde.

Inzwischen aber danke ich Gott sogar für meine inneren Schmerzen. Denn sie hatten mich zu der Beratungsstelle geführt, wo ich heute arbeite. In dieser Beratungsstelle konnte ich zum ersten Mal einem anderen Menschen mitteilen, was ich getan hatte. Die seelischen Schleusen hatten sich geöffnet und der Heilungsprozess konnte einsetzen. Zum ersten Mal fühlte ich mich in der Lage, mit Gott über meine Sünde zu sprechen. Ich bereute sie und bat Gott um Vergebung.

An jenem Muttertag forderte ich jede Frau auf, mich anzurufen, wenn sie Hilfe und Heilung nach einer Abtreibung nötig hätte. Wie es so oft der Fall ist, meldete sich niemand. Erst ein Jahr später erhielt ich einen Brief von einer Frau namens Amy.

Amy schrieb, dass meine Ausführungen sie bis ins Mark getroffen hatten. Sie meinte, ich hätte meinen Vortrag allein für sie gehalten, so sehr fühlte sie sich davon angesprochen. Amy bat mich um eine Beratung mit dem Ziel, sie von ihrem seelischen Leiden zu befreien. Die Einzelheiten ihrer Geschichte unterschieden sich von meinem Fall. Die nachfolgenden Jahre des schamhaften Verschweigens hatten wir aber gemeinsam.

Bis eine Frau sich nach einem Schwangerschaftsabbruch bei einer Beratungsstelle meldet, vergehen meist Monate, wenn nicht Jahre. Erst wenn der Schmerz unerträglich wird, sucht sie manchmal Hilfe.

Keine Frau, die eine Schwangerschaft abbrechen lässt, wird auf Dauer dem Schmerz entgehen, den eine Abtreibung nach sich zieht. Irgendwann wird sie erkennen, was sie getan hat. Nicht jede Frau erkennt es, aber ein Schwangerschaftsabbruch verletzt das heilige Gesetz Gottes: „Nicht nur an Menschen bin ich schuldig geworden, gegen dich selbst habe ich gesündigt; ich habe getan, was du verabscheust. Darum bist du im Recht, wenn du mich schuldig sprichst; deinen Richterspruch kann niemand tadeln“ (Psalm 51,6; Gute Nachricht Bibel).

Sowohl Männer als auch Frauen erzählen mir, wie sie jahrelang versucht haben, eine Abtreibung nachträglich zu rechtfertigen. Sie zählen die Gründe auf, warum es die richtige Entscheidung gewesen sei, das ungeborene Kind abzutreiben. In manchen Fällen folgten noch weitere Schwangerschaftsabbrüche. Dabei wurde ihr Schlaf ständig von Albträumen gequält.

Sie hatten der Welt und den Medien geglaubt, eine Abtreibung sei ein rechtmäßiges, unkompliziertes und ungefährliches Verfahren, das ihnen die Möglichkeit biete, die Art von Leben zu führen, die sie verdienten und die sie sich wünschten. Sie seien den Lügen aufgesessen und hätten sich den Millionen Menschen zugesellt, die an den seelischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs litten.

Kräftezehrendes Seelenleid

Diese Menschen erleben eine Belastungsstörung, wie sie durch ein einschneidendes Trauma oder einen großen Verlust ausgelöst werden kann. Manchmal spricht man in diesem Zusammenhang vom „Post Abortion Syndrom“ (PAS). Diese Störung kann jederzeit nach einer Abtreibung auftreten.

In manchen Fällen geschieht dies sofort, aber es können auch Jahre und Jahrzehnte vergehen, bis ein Mensch von seinen Gefühlen eingeholt wird. Wenn es so weit ist, fällt es ihm schwer, seine Gefühle zur Schwangerschaft und zur Abtreibung zu äußern. Der Verlust belastet ihn so sehr, dass er keinen inneren Ausgleich findet. Dabei sind Frauen und Männer gleichermaßen betroffen.

Übrigens spielt es keine große Rolle, ob die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch freiwillig oder unter Druck oder gar unter Zwang getroffen wurde. Opfer des PAS hören die Botschaft: „Rede nicht darüber! Denke nicht daran! Reiß dich zusammen und gehe zur Tagesordnung über!“

Eine christliche Frau mag glauben, dass ihr die Sünde der Abtreibung nie vergeben werden kann. Also hütet sie ihr Geheimnis vor ihrer Familie, vor ihren Freunden und vor ihrer Kirchengemeinde. Sie lebt ständig in der Furcht, dass irgendjemand doch die Wahrheit erfahren wird. Sie kämpft ganz alleine mit den seelischen und somatischen Folgen des Schwangerschaftsabbruchs.

Abtreibungsbefürworter legen den Schwerpunkt auf die Entscheidungsfreiheit der Frau. „Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine“, heißt es aus ihrem Munde. Sie bestehen darauf, dass unter bestimmten Umständen ein Schwangerschaftsabbruch der beste Ausweg ist. Dass dieser Ausweg zu seelisch schmerzhaften Verlustgefühlen führen kann, ist eine Tatsache, die nie in ihrem Gesichtsfeld auftaucht. Denn sie wollen ja auf keinen Fall zugeben, dass bei diesem Vorgang etwas Wertvolles verloren geht.

Aber solange eine Frau keine Vertrauensperson findet, mit der sie das Schweigen brechen kann, bleibt sie in einer Zwangslage, und ihr seelisches Leiden wächst unaufhaltsam wie ein unbehandeltes Krebsgeschwür.

Lügen durch Wahrheit ersetzen

Ich würde den inneren Heilungsprozess so zusammenfassen: Lügen müssen durch Wahrheit ersetzt werden. An der Beratungsstelle, wo ich tätig bin, begann dieser Prozess mit einem Bibelstudium, das sich mit Gott und seinem Gesetz befasst. Man lernte dabei, wie das eigene Verhalten das Gesetz Gottes verletzt hatte.

Jede Lüge, die wir glaubten, wurde im Licht des Wortes Gottes betrachtet und durch Wahrheit ersetzt. Unsere Scham und Selbstverachtung wurden durch Gottvertrauen ersetzt, und zwar in einem Klima der Geborgenheit und der Verschwiegenheit. Wir mussten nicht mehr innerhalb der Mauern unseres eigenen seelischen Gefängnisses vor uns hin leiden.

Amy, die ich oben erwähnte, erzählte mir diese Geschichte: Als sie schwanger wurde, war sie erst 14 Jahre alt. In ihrer jugendlichen Einfalt schenkte sie ihren körperlichen Veränderungen keinerlei Beachtung. Aber es kam unweigerlich der Punkt, an dem ihre Mutter erkannte, dass sie schwanger war. Von da an war ihre Mutter fest entschlossen, jemanden zu finden, der das Ungeborene „beseitigen“ würde.

Schließlich fuhr sie mit Amy nach Wichita, Kansas, zum Chirurgen George Tiller, der zu den wenigen Ärzten gehörte, die damals Schwangerschaften in einem fortgeschrittenen Stadium abbrachen. (Wegen dieser Praxis wurde dieser Mann später ermordet.)

Die 14-jährige Amy war bereits hochschwanger, aber im Laufe von zwei qualvollen Tagen wurde ihr Kind abgetrieben. Als alles vorbei war, machte die Mutter Amy klar, dass der Vorfall nie zur Sprache kommen dürfte. Man darf sich nicht wundern, dass Amy eine Kette weiterer Beziehungen einging, die jeweils in Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch mündeten.

Aber das ist nicht das Ende der Geschichte. Vor ein paar Jahren absolvierte Amy ein mehrwöchiges Therapieprogramm in unserer Beratungsstelle und konnte endlich mit ihren Trauer- und Verlustgefühlen fertig werden. Sie vergab ihrer Mutter, sich selbst und allen an den Abtreibungen Beteiligten. Danach wurde sie zu einer Kämpferin für die Interessen von anderen, die ebenfalls Heilung von den seelischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs brauchten.

Obwohl in diesem Beitrag hauptsächlich die Rede von Frauen ist, darf man nicht übersehen, dass auch viele Männer unter den Folgen von Abtreibungen leiden. So erzählte mir ein Mann einmal von dem Entsetzen, das seine Freundin bei ihm einige Wochen nach Bekanntwerden der Schwangerschaft mit der Nachricht auslöste, dass sie ihre Schwangerschaft abbrechen lassen wollte. Damals habe er sich nicht getraut, ihr davon abzuraten. Er habe nur kleinmütig erwidert: „Ich werde deine Entscheidung mittragen.“

Jahrzehntelang danach habe er sich vor jeder Beziehung zu irgendeiner Frau gescheut. Das Bewusstsein, dass es einmal ein Kind gegeben hatte, das nach kurzer Zeit nicht mehr da gewesen ist, lastete ständig auf ihm. Irgendwann fand er zu einer Selbsthilfegruppe für Männer, in der er sein Erlebnis verarbeiten konnte. Seither ist auch er damit beschäftigt, anderen zu helfen, die unter den Folgen von Abtreibungen leiden.

Sie sind nicht allein

Wenn Sie unter den seelischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs leiden oder wenn Sie jemanden kennen, der in dieser Lage ist, suchen Sie bitte Hilfe, denn es gibt sie! Es gibt eine Fülle an Organisationen, die eigens für Menschen da sind, die sich in einer solchen Situation befinden.